HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 1/2021 vom 28. Januar 2021

OLG Koblenz zu den Rechtsfolgen der fehlenden Durchsuchbarkeit

In einem bemerkenswerten Beschluss hat das OLG Koblenz sehr pragmatische Feststellungen zu den Rechtsfolgen eines nicht ordnungsgemäß eingereichten elektronischen Dokuments getroffen. Danach ist in solchen Fällen nicht zwingend immer die Formunwirksamkeit anzunehmen.

Im Einzelnen: Nach § 130a Abs. 2 ZPO muss das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Näheres bestimmt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung. Dies ist durch die Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) geschehen. Danach ist das elektronische Dokument in druckbarer, kopierbarer und, soweit technisch möglich, durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF zu übermitteln (§ 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV). Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und auf die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen (§ 130a Abs. 6 ZPO).

In dem zu entscheidenden Fall hatte der Prozessbevollmächtigte des Berufsklägers sowohl Berufsschrift als auch die Berufungsbegründung eingescannt und elektronisch übersandt. Das Problem: Die Schriftarten waren nicht in das elektronische Dokument eingebettet, weshalb es nicht durchsuchbar war und somit den Vorgaben der ERVV nicht entsprach. Gleichwohl hielt das OLG Koblenz die Schriftsätze nicht für formunwirksam.

Zwar dürfe nicht außer Acht bleiben, dass die Regelungen der ERVV neben dem Individualrechtsschutz zugleich auch der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit dienen und deshalb einen einzelfallunabhängigen Geltungsanspruch erheben. Dies bedeute aber nicht zugleich, dass jeder Verstoß gegen die ERVV zur starren Rechtsfolge der Formunwirksamkeit führe. Denn § 130a Abs. 2 ZPO, den die ERVV näher ausgestalte, solle lediglich gewährleisten, dass eingereichte elektronische Dokumente für das Gericht lesbar und bearbeitungsfähig sind. Dies sei auch bei der Frage der Rechtsfolge zu berücksichtigen. Formunwirksamkeit trete nach Auffassung des OLG Koblenz nur dann ein, wenn der Verstoß dazu führe, dass eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist, z. B. weil sich die eingereichte Datei nicht öffnen bzw. der elektronischen Akte nicht hinzufügen lässt oder weil sie schadcodebelastet ist. Demgegenüber führten Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs, wenn sie lediglich einen bestimmten Bearbeitungskomfort sicherstellen sollen, nicht aber der Lesbarkeit und Bearbeitbarkeit als solches entgegenstehen. Diese Differenzierung ergäbe sich teilweise auch aus der ERVV selbst, die neben Muss-Vor-schriften auch Soll-Bestimmungen enthalte (z. B. § 2 Abs. 2 ERVV, § 3 ERVV). Dasselbe gelte nach Auffassung des OLG Koblenz aber auch für Regelungen, die zwar nach dem Wortlaut der ERVV zwingend zu beachten sind, der Sache nach aber nicht die Lesbarkeit und/oder Bearbeitbarkeit durch das Gericht sicherstellen, sondern lediglich einen bestimmten Bearbeitungskomfort ermöglichen sollen. Dies sei für das Kriterium der Durchsuchbarkeit in § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV der Fall. Hierfür spräche schon, dass der Verordnungsgeber selbst die Durchsuchbarkeit nicht für unverzichtbar erachtet, sondern sie nur fordert, soweit sie technisch möglich ist, was nach der Verordnungsbegründung z. B. dann nicht der Fall sein soll, wenn das Ausgangsdokument handschriftliche oder eingeschränkt lesbare Aufzeichnungen enthält. Auch aus dem Zweck der Regelung ergäbe sich, dass es sich der Sache nach nicht um eine zwingende Anforderung, sondern lediglich um eine Komfortfunktion im Rahmen der Bearbeitung elektronischer Akten handelt. Durch die Einreichung durchsuchbarer Dokumente solle nämlich zum einen das maschinelle Vorlesen für blinde und sehbehinderte Personen und zum anderen die elektronische Weiterbearbeitung durch die Gerichte (insb. Volltextsuche) erleichtert werden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit des barrierefreien Zugangs und der Volltextsuche bei elektronischer Aktenführung nicht nur für Dokumente bestehen sollte, die nach § 130a ZPO elektronisch eingereicht wurden, sondern auch für durch das Gericht selbst erstellte elektronische Dokumente (§ 130b ZPO) sowie für Dokumente, die in Papierform eingereicht und durch das Gericht in die elektronische Form übertragen wurden (§ 298a Abs. 2 ZPO). Aus diesem Grund muss die Justiz ohnehin technische Lösungen vorhalten, die die Durchsuchbarkeit von Dokumenten herstellen (vgl. Insoweit auch § 298 Abs. 1a Satz 2 ZPO). Berücksichtige man ergänzend, dass bei elektronischer Aktenführung ohnehin das Erfordernis besteht zur Vereinheitlichung und Qualitätssicherung nicht mit den auf verschiedenen Wegen eingegangenen „Originaldokumenten“ zu arbeiten, sondern mit sogenannten Repräsentatsdateien, die in einem einheitlichen technischen Verfahren aufbereitet werden, das auch die Durchsuchbarkeit sicherstellt, bestünde auch tatsächlich kein Erfordernis, die Durchsuchbarkeit elektronisch eingereichter Dokumente als zwingende Formvorschrift anzusehen. Denn die Durchführung des Verfahrens nach § 130a Abs. 6 ZPO würde auf dieser Grundlage einen bloßen Formalismus darstellen, durch den die Bearbeitbarkeit des Dokuments (bzw. des Repräsentats) nicht verändert wird. Es handele sich bei der Vorgabe der Durchsuchbarkeit in § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV mithin lediglich um eine Ordnungsvorschrift, deren Verletzung nicht zur Unwirksamkeit des Eingangs führt.

Allerdings ist diese Entscheidung mit Vorsicht zu betrachten. Denn bei den Gerichten werden auch andere Auffassungen vertreten. So führe nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 3.6.2020 – 3 AZR 730/19; Beschluss vom 12.3.2020 – 6 AZM 1/20) ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 ERVV stets dazu, dass ein Dokument nicht zur Bearbeitung durch jedes Gericht geeignet ist. Die ERVV konkretisiere gemäß § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO die Anforderungen an ein zur Bearbeitung geeignetes Dokument bundeseinheitlich für jedes Gericht. Wegen der Heilungsmöglichkeiten des § 130a Abs. 6 ZPO bestünden auch keine Bedenken gegen die Vereinbarkeit dieser Regelungen mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes.


Beschluss des OLG Koblenz vom 23.11.2020 – 3 U 1442/20