HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 1/2021 vom 28. Januar 2021

Verbraucherschutz durch Erfolgshonorar?

Dr. Christian Lemke, Präsident von Dr. Christian Lemke, Präsident

Verbraucherschutz durch Erfolgshonorar?

„Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“ ist der Titel eines der Gesetzesvorhaben, die die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode umsetzen will. Offenbar ist sie der Auffassung, dass es bisher an verbrauchergerechten Angeboten für Rechtsdienstleistungen mangelt. Jedenfalls hat sie jetzt am 20.01.2021 den gegenüber dem Referentenentwurf vom November vergangenen Jahres nur geringfügig geänderten Kabinettsentwurf für dieses Gesetz vorgelegt. Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung insbesondere wegen der zunehmenden und unter der Flagge eines Inkassodienstleisters segelnden „LegalTech“-Unternehmen: Zum einen soll für Inkassounternehmen, die Zahlungsansprüche von Verbrauchern durchsetzen, ein klarer gesetzlicher Rahmen geschaffen werden. Zum anderen sollen Prozessfinanzierung und Erfolgshonorarvereinbarungen aufgrund derzeit vermeintlich europarechtswidriger Inkohärenz zukünftig auch Rechtsanwälten gestattet sein. So soll nach der Vorstellung der Bundesregierung ein fairer Wettbewerb zwischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten und den LegalTech-Anbietern geschaffen werden.

 

Die vom Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen des Rechtsdienstleistungsgesetzes betreffen zunächst die Einführung umfangreicher Informationspflichten von Inkassodienstleistern, die für Verbraucher tätig werden. So sollen Verbraucher künftig darüber aufgeklärt werden müssen, welche anderen Möglichkeiten zur Forderungsdurchsetzung bestehen, insbesondere wenn diese im Erfolgsfall eine vollständige – also anders als bei den Inkassodienstleistern nicht durch ein beliebiges Erfolgshonorar geschmälerte – Schadenskompensation ermöglichen. Weitere Informationspflichten betreffen Angaben zu den Bedingungen der Vergütung, den Einfluss der Vereinbarung auf gegebenenfalls vom Verbraucher zu zahlende Gerichtskosten sowie Verpflichtungen zur Kostenerstattung gegenüber anderen Verfahrensbeteiligten, die mit einem etwaigen Prozessfinanzierer getroffenen Vereinbarungen, Erläuterungen dazu, ob ein Vergleichsschluss auch ohne Zustimmung des Verbrauchers möglich ist, die Auswirkungen eines Vergleichs auf die vereinbarte Vergütung sowie ferner die Verpflichtung zur Begründung der Ablehnung der Übernahme eines Inkassoauftrags. So sollen Verbraucher besser verstehen, wie das Geschäftsmodell der Inkassodienstleister funktioniert, welche Kosten auf sie zukommen und was ihnen am Ende verbleibt.

All dies ist zweifellos zu begrüßen. Es ändert allerdings nichts daran, dass sich entsprechende Dienstleister zur Erzielung der gewünschten Skaleneffekte auf die einfach gelagerten Fälle fokussieren – also jene Fälle, bei denen der Verbraucher bei anwaltlicher Forderungsdurchsetzung zu seinem vollen, nicht durch ein Erfolgshonorar geschmälerten Recht käme.

Auch der weitere Ansatz des Kabinettsentwurfs, mit einem neu einzufügenden § 13 Abs. 2 RDG-E die Prüfungspflicht der für die Zulassung von Inkassodienstleistern zuständigen Behörde auf die Vereinbarkeit der beantragten Erlaubnis mit dem Begriff der Inkassodienstleistung auszudehnen, ist im Grundsatz zu begrüßen. Ebenso erfreulich ist, dass gegenüber dem Referentenentwurf nun klargestellt wird, dass unter den Inkassobegriff neben der Forderungseinziehung die rechtliche Prüfung und Beratung nur insoweit fällt, als diese auf die Forderungseinziehung bezogen ist – was erwartungsgemäß zu umgehendem Protest der Interessenvertreter der LegalTech-Unternehmen geführt hat. Immerhin sollen diese nun allerdings von dem Risiko befreit sein, dass ihnen im Zivilprozess entgegengehalten wird, die mit dem Auftraggeber getroffene Vereinbarung über die Forderungsdurchsetzung sei wegen eines RDG-Verstoßes unwirksam. Allerdings: Welche Anforderungen an den Nachweis der für die Inkassoerlaubnis erforderlichen „Sachkunde“ konkret gelten, bleibt weiterhin offen. Ein abgeschlossenes Jurastudium oder gar ein zweites Staatsexamen sind jedenfalls nicht erforderlich. Ein kurzer Lehrgang wird weiterhin genügen.

Mit einem Federstrich stellt die Bundesregierung durch einen Zusatz zu § 4 RDG nun weiter apodiktisch fest, dass Berichtspflichten gegenüber einem Prozessfinanzierer die ordnungsgemäße Erbringung einer geschuldeten Rechtsdienstleistung nicht gefährden. Dass das Gegenteil der Fall ist, hat das Landgericht München in seinem Kartellschadenersatzurteil vom 07.02.2020 (Az. 37 O 18934/17) zutreffend aufgezeigt. Danach ist die faktische Einflussnahmemöglichkeit eines Prozessfinanzierers auf einen etwaigen Vergleichsschluss jedenfalls dann sehr hoch, wenn ihm Erfolgsbeteiligungen abgetreten wurden, weil für ihn die Rentabilität eines Vergleichsschluss sehr viel früher eintritt, als für den einzelnen Zedenten, dessen Ansprüche durchgesetzt werden sollen.

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten will die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf schon aufgrund der bereits erwähnten, angeblichen zwingenden europarechtlichen Kohärenzanforderungen „helfen“, indem ihnen gestattet wird, Prozessfinanzierung und Erfolgshonorare zu vereinbaren, wenn sich der Auftrag entweder auf eine Geldforderung von höchstens 2.000,00 Euro bezieht, oder – streitwertunabhängig – eine Inkassodienstleistung außergerichtlich, im Mahn- oder im Zwangsvollstreckungsverfahren erbracht wird, oder – wiederum streitwertunabhängig – der Auftraggeber sonst von der Rechtsverfolgung abgehalten würde.

Prof. Christian Wolf  hat geforscht und in einem in jeder Hinsicht lesenswerten Aufsatz in den BRAK-Mitteilungen 5/2020 (S. 250 ff.) dargelegt, dass sich Erfolgshonorar und Prozessfinanzierung bei der nicht automatisierten Mandatsbearbeitung nur rechnen werden, wenn der Gesetzgeber zugleich nach amerikanischem Vorbild sog. Punitive Damages, also Strafschadenersatz, zuließe. Denn ohne diesen Strafschadensersatz führt das Erfolgshonorar dazu, dass der Kläger den tatsächlich entstandenen Schaden eben nicht vollständig kompensiert erhält. Kann das gewollt sein?

Zum Verständnis der Notwendigkeit der Unabhängigkeit des Anwalts vom Mandanten muss man sich im Übrigen nicht erst mit den Ausführungen von Wolf zur Rolle des Rechtsanwalts für die Rechtsfindung als dialogischer Prozess (in: Gaier/Wolf/Göcken, BRAO § 1 Rdn. 17 ff.) befassen, mit denen er darlegt, dass sich diese Unabhängigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege zum eigenen Mandanten auch darin gründet, dass für die Rechtsfindung ein Übergang vom bloßen Meinen zur thetischen Rede unerlässlich ist, weil nur so der Prozess des Argumentierens begonnen werden könne. Denn schließlich ist es eine Binsenweisheit, dass sich Anwälte in eigenen Angelegenheiten besser nicht selbst vertreten sollten, weil diese Wahrnehmung eigener Interessen den für eine unabhängige anwaltliche Vertretung erforderlichen klaren Blick erheblich trüben kann. Eben diese Unabhängigkeit geht verloren, wenn der Anwalt am wirtschaftlichen Ergebnis, das er für den Mandanten erzielen soll, beteiligt wird und sich insoweit mit den wirtschaftlichen Interessen des Mandanten gemein macht.

Wie der frühere Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin und Vorsitzende des Ausschusses Europa der BRAK Kay-Thomas Pohl ebenfalls in den BRAK-Mitt. 5/2020 (S. 258 ff.) dargelegt hat, verlangen europarechtliche Kohärenzanforderungen auch keineswegs irgendein „Level Playing Field“ zwischen der Rechtsanwaltschaft und nicht-anwaltlichen Inkassodienstleistern. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH ist eben nicht allein an die Vergleichbarkeit einzelner Tätigkeiten anzuknüpfen, sondern ist auch auf den durch Gemeinwohlbelange begründeten beruflichen Status abzustellen. Und der unterscheidet Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die im Interesse ihrer Mandanten und einer geordneten Rechtspflege strengen Berufspflichten unterworfen, aber auch mit besonderen Privilegien ausgestattet sind, von gewerblichen Inkassodienstleistern eben doch ganz erheblich.

Ist es also eine gute Sache, wenn der Gesetzgeber Inkassodienstleister und die Rechtsanwaltschaft einander annähert – oder besser: „gleichmacht“? Ist das überhaupt erforderlich, wo es doch auch bislang Anwältinnen und Anwälten ohne weiteres möglich war, neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit nicht nur eine Bäckerei oder einen Automobilhandel, sondern eben auch ein gewerbliches Inkassounternehmen zu betreiben – nur dann eben auch ohne anwaltliche Privilegien wie der Beschlagnahmefreiheit oder dem Zeugnisverweigerungsrecht und klar erkennbar als Gewerbetreibender? Ich meine, nein.

Welch bedenkliche Blüten die Forderung nach Beseitigung vermeintlicher „Inkohärenz“ und Schaffung eines „Level Playing Field“ im Übrigen treibt, zeigt die Stellungnahme des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), die dieser schon zum Referentenentwurf abgegeben hat. Der GDV moniert, der Gesetzentwurf lege einen verengten Fokus auf Anwaltschaft und Inkassodienstleister und bewirke damit eine Ungleichbehandlung der Rechtsschutzversicherer. Denn Inkassodienstleister und künftig auch Anwälte würden mit Erfolgshonorarmodellen neben und in Wettbewerb zur Kostentragung durch die Rechtsschutzversicherer treten, denen es verwehrt sei, ihre Geschäftsmodelle in den Bereich der Rechtsdienstleistung auszuweiten. Da fehlt nur noch die Forderung nach Beschlagnahmefreiheit, Zeugnisverweigerungsrechten und Postulationsfähigkeit. Auf eines allerdings verweist der GDV – wenngleich zur Begründung der Forderung nach Fremdkapitalbeteiligung an Anwaltskanzleien und damit wohl eher „versehentlich“ – zu Recht: Zwangsläufige Folge des Erfolgshonorars ist eine Kommerzialisierung des Mandatsverhältnisses, denn jedes Erfolgshonorar müsse kalkuliert und finanziert sein. Willkommen in der Welt der Finanzinvestoren.

Die Alternative? Eine Verbesserung des kollektiven Rechtsschutzes durch Verbandsklagen. Die im vergangenen Jahr verabschiedete EU-Verbandsklagenrichtlinie zeigt den Weg auf. Sicher wäre es in weiten Bereichen auch möglich, die automatisierte Befriedigung gleichgelagerter Ansprüche insbesondere von Verbrauchern durch Unternehmen gesetzlich vorzusehen. Das wäre wahrlich „LegalTech“ – ganz ohne Erfolgshonorar. Und im Übrigen haben Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bislang noch immer geholfen, und sei dies im Rahmen von Beratungs-, Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe.

Ihr


Dr. Christian Lemke
Präsident