HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 1/2021 vom 28. Januar 2021

BGH: Grenzen des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen

Verstoß nur im Kernbereich der rechtsbesorgenden anwaltlichen Berufsausübung denkbar

Der BGH hatte unter anderem auch berufsrechtlich einen Sachverhalt zu bewerten, bei dem eine Anwaltskanzlei als Sicherheitentreuhänderin für Hypothekenanleihen der Emittentin eingesetzt wurde. Dabei stand der Vorwurf eines Verstoßes gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen im Raum.

1. Die Emittentin hatte zum Geschäftsmodell, Immobilien günstig zu erwerben, durch Entwicklungsmaßnahmen aufzuwerten und gewinnbringend zu veräußern. Ihre Geschäftstätigkeit finanzierte sie vornehmlich mit der Emission von Anleihen.

Bei den Anleihen vertrat die Anwaltskanzlei die Emittentin im Billigungsverfahren für den jeweiligen Wertpapierprospekt vor der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Später bestellte die Emittentin die Anwaltskanzlei durch einen „Treuhändervertrag“ als Sicherheitentreuhänderin. Dieser Treuhändervertrag sah vor, dass die Anwaltskanzlei die dinglichen Sicherungsrechte an den von der Emittentin erworbenen Immobilien im eigenen Namen für die Anleger hält und verwaltet. Der Löschung von Sicherungsrechten sollte die Kanzlei nur zustimmen, wenn die Zahlung des Kaufpreises auf das von einem Mittelverwendungskontrolleur verwaltete Sonderkonto sichergestellt war. Bei Zahlungsausfall der Emittentin sollte sie die Sicherheiten zugunsten der Anleger verwerten und der Emittentin zuvor eine Frist für eine gütliche Einigung über die Rückzahlung setzen.

2. Nach Auffassung des BGH habe die Anwaltskanzlei vorliegend nicht gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO / § 3 BORA) verstoßen, weil der Treuhandvertrag kein anwaltlicher Beratungsvertrag sei und aus diesem Grund dem Verbot nicht unterfalle.

Grundlage der Regelung des § 43a Abs. 4 BRAO seien das Vertrauensverhältnis zum Mandanten, die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die im Interesse der Rechtspflege gebotene Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung. Die Wahrnehmung anwaltlicher Aufgaben setze den unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt voraus. Ein Anwalt, der sich zum Diener gegenläufiger Interessen macht, verliere jegliche unabhängige Sachwalterstellung im Dienste des Rechtsuchenden. Über das individuelle Mandatsverhältnis hinaus sei die Rechtspflege allgemein auf die Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung angewiesen.

Allerdings setze eine Vertretung widerstreitender Interessen voraus, dass der Rechtsanwalt bei beiden Tätigkeiten im Kernbereich der rechtsbesorgenden anwaltlichen Berufsausübung handelt. Der zwischen der Kanzlei und der Emittentin geschlossene Treuhandvertrag sei kein anwaltlicher Beratungsvertrag und daher nicht dem Kernbereich anwaltlicher Berufsausübung zuzuordnen. Die Treuhandtätigkeit gehöre zwar zum Berufsbild des Rechtsanwalts und könne, auch wenn sie nicht nach den Bestimmungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes zu entlohnen ist (§ 1 Abs. 2 RVG), Gegenstand eines Anwaltsvertrags sein. Dies setze jedoch voraus, dass sie mit einer Pflicht zur Rechtsberatung verbunden ist. Die anwaltliche Beratung bestehe darin, dass der Rechtsanwalt die Sach- und Rechtslage prüft und diese dem Mandanten erläutert, um ihm hierdurch eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidungen in seiner Rechtsangelegenheit zu ermöglichen. Gegen einen anwaltlichen Beratungsvertrag spräche es, wenn eine Treuhandtätigkeit ausschließlich wirtschaftlich geprägt sei oder eine Rechtsberatung weitgehend hinter die wirtschaftliche Geschäftsabwicklung zurücktrete.

Nach diesen Maßgaben stelle der vorliegende Treuhandvertrag keinen anwaltlichen Beratungsvertrag, sondern einen Geschäftsbesorgungsvertrag über eine anwaltsfremde Tätigkeit dar. Die Kanzlei schuldete keine anwaltliche Beratung in dem Sinne, dass sie die Anleger rechtlich zu vertreten oder durch rechtliche Erläuterungen in die Lage zu versetzen gehabt hätte, eigene Entscheidungen zu treffen. Vielmehr habe die Kanzlei lediglich bestimmte, vertraglich genau festgelegte Maßnahmen – Verwertung der Sicherungsrechte, Geltendmachung des Absonderungsrechts im Falle der Insolvenz der Emittentin, Einrichtung eines Treuhandkontos zur Hinterlegung der Verwertungserlöse – zu ergreifen. Eine individuelle Erledigung von Rechtsangelegenheiten der Anleger war dabei nicht vorgesehen. Die Kanzlei hatte auch keine rechtlichen Erklärungen in deren Namen abzugeben; im Falle der Verwertung der Sicherheiten musste sie, weil sie selbst Inhaberin der Sicherungsrechte war, im eigenen Namen handeln. Allein der Umstand, dass die treuhänderische Tätigkeit der Kanzlei im wirtschaftlichen Interesse der Anleger erfolgte und der erzielte Erlös an diese zu verteilen war, qualifiziere sie nicht als rechtliche Beratung oder Vertretung der Anleger.

3. Auch habe die Kanzlei nicht gegen das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO verstoßen. Danach darf ein Rechtsanwalt außerhalb seiner Anwaltstätigkeit nicht in einer Angelegenheit beruflich tätig werden, mit der er bereits als Rechtsanwalt befasst war.

Vorliegend sei jedoch die Beteiligung der Kanzlei am Prospektbilligungsverfahren einerseits und die Tätigkeit als Sicherheitentreuhänderin andererseits nicht als dieselbe Angelegenheit anzusehen. Zwar bestünde ein Zusammenhang insofern, als beide Tätigkeiten auf Verträgen mit der Emittentin beruhen und sich auf dieselben Hypothekenanleihen beziehen. Die durch diese Aufgaben berührten Interessen überschneiden sich jedoch nicht in relevantem Maße. Die anwaltliche Vorbefassung der Kanzlei sei ausschließlich auf die rechtlich richtige Erstellung und die behördliche Billigung der Prospekte gerichtet gewesen. Die Tätigkeit als Sicherheitentreuhänderin hatte hierzu keinen unmittelbaren Bezug, weil die Kanzlei nicht prospektverantwortlich war. Ihre Aufgabe, die Sicherheiten zugunsten der Anleger zu verwalten und erforderlichenfalls zu verwerten, sei eng umgrenzt gewesen, weitgehend formaler Natur und hatte keine Beratungspflichten zugunsten der Anleger zum Gegenstand. Eine sachliche Überschneidung der beiden Tätigkeiten sei somit – jedenfalls im Kern – nicht zu erwarten gewesen.

BGH, Urteil vom 17.9.2020 – III ZR 283/18