HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 1/2021 vom 28. Januar 2021

BGH: Widerruf von Anwaltsverträgen

In einem Urteil vom 19.11.2020 – IX ZR 133/19 hat der BGH sein Urteil vom 23.11.2017 – IX ZR 204/16 (Kammerreport Nr. 3/18, S. 15; NJW 2018, 690) bestätigt, wonach Anwaltsverträge Fernabsatzverträge im Sinne von § 312c BGB sein können, bei denen die Mandantin oder der Mandant ein Widerrufsrecht hat, über das sie oder er zu belehren ist.

Verwendet die Anwältin oder der Anwalt für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel, so wird vermutet, dass der Anwaltsvertrag ein Fernabsatzvertrag ist. Um diese Vermutung zu widerlegen, muss die Anwältin oder der Anwalt darlegen und ggfs. beweisen, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.

Wie schon 2017 erklärt der BGH, dass ein organisiertes Fernabsatzsystem voraussetzt, dass die Unternehmerin oder der Unternehmer mit personeller und sachlicher Ausstattung innerhalb ihres bzw. seines Betriebs die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte zu bewältigen. Jetzt präzisiert er, dass ein solches System jedenfalls dann vorliegt, wenn die Unternehmerin oder der Unternehmer die Möglichkeit von Vertragsverhandlungen und Vertragsschlüssen im Fernabsatz von sich aus aktiv anbietet. Die Art und Weise der Leistungserbringung nach Vertragsschluss ist dagegen unerheblich.

Die Frage der Mindestanforderungen an ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem bei einer Anwaltskanzlei lässt der BGH weiterhin offen. Die Anwältin oder der Anwalt müsse aber darlegen und beweisen, in welcher Form sie oder er ihre bzw. seine Kanzlei im Hinblick auf Verhandlungen und Abschluss eines Anwaltsvertrags organisiert hat. Dabei müsse in erster Linie dargelegt und bewiesen werden, dass die für ein auf den Fernabsatz ausgerichtetes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem sprechenden Indizien in ihrem oder seinem Fall keinen Rückschluss darauf zulassen, dass die Kanzlei darauf eingerichtet ist, Verträge im Rahmen eines solchen Systems zu bewältigen. In dem vom BGH jetzt entschiedenen Fall sprachen mehrere Indizien für das Vorliegen eines solchen Systems, nämlich der Inhalt des Internetauftritts, die Spezialisierung auf ein begrenztes Rechtsgebiet, die deutschlandweite Tätigkeit und Werbung sowie die hohe Anzahl von Neuanfragen pro Monat.

Rechtsanwalt Dr. Alexander Mittmann, LL.M., D.E.A.,
Mitglied des Vorstandes der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer