III. Tätigkeit des Vorstands im Berichtsjahr
15. Berufsrecht
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Die Abgrenzung anwaltlicher Tätigkeit zu den Angeboten nicht-anwaltlicher Anbieter spielte in 2023 nicht mehr die Rolle wie in den Vorjahren. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer beobachtet den Markt aber nach wie vor aufmerksam und greift auch nach wie vor Verfahren auf, um die Grenzen unzulässiger Rechtsberatung durch nicht-Anwälte zu klären und auf die Einhaltung der Grenzen hinzuwirken.
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Gleichwohl war im Jahr 2023 ein für das Berufsrecht sehr wichtiges und arbeitsreiches Jahr: vieles ist im Fluss und viele Entwicklungen laufen parallel – die meisten Vorhaben und Ideen sind aber noch in der Beratung und werden deshalb im Abschnitt „Rechtspolitik“ besprochen.
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Ein sehr wichtiges Thema ist das Fremdbesitzverbot, weil es die für eine freie Anwaltschaft unabdingbare Unabhängigkeit der einzelnen Rechtsanwältin, des einzelnen Rechtsanwalts berührt.
Die seit Jahren andauernde Diskussion hat in 2023 erhebliche Dynamik gewonnen, weil der Bayerische AGH dazu einen Vorlagebeschluss an den EuGH gefasst hat (BayAGH, Beschl. v. 20.4.2023 – BayAGH III-4-20/21; BRAK-Mitt 2023, 185 m. Anm. Schaeffer) und damit die Rechtmäßigkeit des Fremdbesitzverbotes jetzt dem EuGH zur Entscheidung vorliegt (Az. C-295/23). Zwar unterliegt der vom Bayerischen AGH zu entscheidende Fall noch dem alten Recht vor der großen BRAO-Reform, aber die Entscheidung des EuGH wird (natürlich) maßgeblichen Einfluss auf das geltende und zukünftige Recht haben.
Das Bundesjustizministerium hatte schon zu Beginn der Legislaturperiode angekündigt, das Fremdbesitzverbot nochmal einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Deshalb gab es zu dem Fremdbesitzverbot auch eine Umfrage des Bundesjustizministeriums, deren Auswertung Sie auf den Seiten der BRAK in den Nachrichten aus Berlin Ausgabe 25/2023 vom 14.12.2023 finden. Danach sieht die Anwaltschaft überwiegend keinen Bedarf für eine Lockerung des Fremdbesitzverbotes.
Die Bundesrechtsanwaltskammer hat dazu auch eine Stellungnahme verfasst, nämlich die Stellungnahme Nr. 71 aus dem Dezember 2023 und zusammenfassend nochmal berichtet in den Nachrichten aus Berlin Ausgabe 1/2024.
Alle warten jetzt auf die Entscheidung aus Luxemburg.
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Auch ein anderes Verfahren vor dem EuGH hat große Bedeutung für die Anwaltschaft: Az. C-432/23, siehe dazu die Stellungnahme Nr. 53/2023 der BRAK): Der luxemburgische Verwaltungsgerichtshof hat dem EuGH verschiedene Fragen vorgelegt, in denen es um die Verschwiegenheitspflicht des Anwalts geht. Konkret geht es um die Frage, ob diese Pflicht (und damit der Schutz der Mandantin) umfassend und absolut gilt oder ob es Einschränkungen gibt, konkret, ob der Anwalt zur Erteilung von Auskünften gegenüber den Steuerbehörden verpflichtet ist. Auch diese Entscheidung ist somit für die Zukunft des anwaltlichen Berufsrechts von großer Bedeutung.
Die Tatsache, dass der EuGH in der Rechtssache C-694/20 (dazu die Meldung der BRAK vom 15.12.2022) der Schweigepflicht der Anwälte große Bedeutung beigemessen hat und eine aus seiner Sicht ungerechtfertigte Beschränkung derselben durch eine EU-Richtline für ungültig erklärt hat, lässt hoffen, dass der EuGH den Versuchen der Staaten, auch Deutschlands, die Verschwiegenheitspflicht immer weiter auszuhöhlen, auch hier einen Riegel vorschieben wird.
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Bei Sammelanderkonten (auf denen sich Gelder für eine Vielzahl von (wirtschaftlich) Berechtigten befinden), wird ein erhöhtes Risiko gesehen, dass diese für Geldwäsche missbraucht werden. Deshalb hatte die BaFin ihre Risikoeinstufung dieser Konten in den Auslegungs- und Anwendungshinweisen geändert, was zu einem erhöhten Prüfungsaufwand für die Banken führte. Die Banken wollten diesen Prüfungsaufwand vermeiden und begannen 2022 damit, Sammelanderkonten von Rechtsanwälten zu kündigen. Die Satzungsversammlung hat dann versucht, die Sammelanderkonten zu „retten“, indem im Dezember 2022 in § 4 BORA berufsrechtliche Pflichten im Umgang mit Sammelanderkonten definiert wurden. Die Idee war, dass wegen dieser erhöhten Sorgfaltspflichten der Anwälte die BaFin Sammelanderkonten in der Risikoeinschätzung wieder herabstufen würde, so dass die Banken keinen erhöhten Prüfungsaufwand mehr hätten und wieder Sammelanderkonten flächendeckend anbieten würden. Das war der Stand Ende 2022 (siehe dazu die Pressemitteilung der BRAK Nr. 12/2022).
Parallel dazu hatte das Bundesfinanzministerium seine Anwendungsschreiben zu den Common Reporting Standards (CRS) geändert. Der Common Reporting Standard (CRS) ist ein internationales Verfahren zum Austausch von Finanzkonteninformationen mit dem Ziel, grenzüberschreitende Sachverhalte aufzudecken und Steuerhinterziehung zu bekämpfen (siehe dazu die Seiten des Bundeszentralamts für Steuern). Durch die Änderung des Anwendungsschreibens mussten nun – anders als vorher – auch Sammelanderkonten von den Banken gemeldet werden. Auch dies ist für die Banken mit einem erheblichen Aufwand verbunden und auch insoweit sind die Banken nicht bereit, den Aufwand zu betreiben.
Als Lösung steht im Raum, dass den Rechtsanwaltskammern eine Aufsicht über die (Sammel-)Anderkonten eingeräumt wird – die Idee dahinter wieder, dass dann die Sammelanderkonten aus dem Anwendungsbereich der CRS herausgenommen werden und die Banken die Sammelanderkonten wieder anbieten.
Derzeit beschäftigt sich das Bundesjustizministeriums mit der Frage und es bleibt eine gesetzliche Regelung abzuwarten.
Dabei gilt es einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen: die Abwicklung von Fremdgeldern über das Geschäftskonto der Kanzlei dürfte von den Banken jedenfalls zukünftig beanstandet und verweigert werden – denn über das Geschäftskonto dürfen nur Gelder abgewickelt werden, die der Kanzlei zustehen und das ist bei Fremdgeldern gerade nicht der Fall. Hier droht also, dass Anwälte ohne Anderkonten keine Fremdgelder mehr entgegennehmen können – sie müssten auf einer Direktzahlung an die Berechtigten bestehen.
Dieses Problem ist ungelöst und wird auch in 2024 ein wichtiges Thema bleiben; siehe dazu auch den Abschnitt Rechtspolitik.
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Beschäftigt hat sich die Hanseatische Rechtsanwaltskammer auch mit der Frage, ob Rechtsanwälte „Zulieferer“ nach dem Lieferkettengesetz sind. Nach Ansicht der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer sind Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nicht Bestandteil einer Lieferkette. Der Vorstand hat seine Auffassung im Kammerreport 03/23 im Editorial und in einem gesonderten Beitrag veröffentlicht. Inzwischen steht eine europäische Richtlinie zu den Lieferketten im Raum; siehe dazu auch den Abschnitt Rechtspolitik.
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Für detailliertere Informationen zum Berufsrecht muss hier auf die Literatur, namentlich in den Fachzeitschriften, verwiesen werden.
Einen zusammenfassenden Überblick gibt z.B. Deckenbrock in NJW 2023, 3686: „Die Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts“.