HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 2/2022 vom 29. März 2022

XII. Ausblick 2022

XII. Ausblick 2022

1. Corona

Am Anfang soll die Hoffnung stehen, dass wir endlich die Corona-Pandemie überwinden. Es ist dringend erforderlich, dass wir wieder ohne Beschränkungen arbeiten und uns austauschen können. Auch während der Pandemie hat vieles gut funktioniert und wir konnten gut arbeiten – aber es kostet viel Kraft und der persönliche Austausch fehlt an allen Enden. Das gilt auf allen Ebenen: es gilt für die Arbeit in der Geschäftsstelle der Kammer genauso wie für den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen und anderen Institutionen, wie auch für den Austausch mit unseren Mitgliedern.

 

2. Berufsausübungsgesellschaften

Eine zentrale Aufgabe und Herausforderung wird für die Kammer die Zulassung der Berufsausübungsgesellschaften sein.

Der Gesetzgeber hat eine viel zu kurze Vorlaufzeit vorgesehen, um die notwendigen Vorbereitungen und Anpassungen zu ermöglichen. Die Kammern benötigen neue Software für die Verwaltung der Berufsausübungsgesellschaften, die es am Markt bisher nicht gibt. Weil auch völlig unklar ist, wie viele Berufsausübungsgesellschaften einen Antrag auf Zulassung stellen werden, ist es schwierig, den Personalbedarf vorherzusehen.

Aber natürlich tun die Ehrenamtler und die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle alles, um den Beginn der Zulassungen der Berufsausübungsgesellschaften zu einem Erfolg zu machen.

 

3. Online-Tool für Mitglieder

Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer setzt bei der Bewältigung der anstehenden Aufgaben auf die Digitalisierung – noch dieses Jahr soll es möglich sein, dass Mitglieder eine Änderung der im bundesweiten amtlichen Anwaltsverzeichnis angezeigten Daten online beantragen können, damit diese nach Freigabe durch die Kammer automatisch geändert werden.

Dieses Tool soll nach und nach um weitere Funktionen erweitert werden – insbesondere sollen darüber auch Zulassungsanträge, namentlich von Berufsausübungsgesellschaften, gestellt werden können. Dies würde die Erhebung der erforderlichen Daten, die bei den Berufsausübungsgesellschaften erheblich sind, deutlich erleichtern und Fehlerquellen bei der Übertragung minimieren. Der von uns eingeschaltete IT-Dienstleister und wir selbst tun unser Möglichstes, um das Online-Tool bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelungen zum 1.8.2022 - bei der Fristbestimmung hat der Gesetzgeber auf die organisatorischen Herausforderungen für die Kammern keine Rücksicht genommen - bereitstellen zu können.

 

4. Rechtspolitik

Auch in 2022 werden die laufenden rechtspolitischen Diskussionen weitergehen. Im Kern geht es um zwei Fragen: 1. Welche Beschränkungen gibt es für nicht-anwaltliche Dienstleister, Rechtsdienstleistungen anzubieten und 2. Muss das Berufsrecht der Anwaltschaft gelockert werden, um der Anwaltschaft zu ermöglichen, sich neue Betätigungsfelder zu suchen und sich insbesondere im Wettbewerb mit den nicht-anwaltlichen Dienstleistern zu behaupten?

Dabei wird auch die Frage eine Rolle spielen, ob und wenn ja in welchem Maße Nicht-Anwälte sich wirtschaftlich an Rechtsanwaltsgesellschaften beteiligten dürfen – nicht als Fremdkapitalgeber, sondern als Eigenkapitalgeber mit einer Beteiligung am Erfolg des Büros.

Die Diskussion ist keineswegs zu Ende: der Gesetzgeber hat sich noch bei Verabschiedung der Gesetze im letzten Jahr vorgenommen, die in 2021 erlassenen Gesetze zu evaluieren und hat eine Reihe von Prüfbitten an die neue Bundesregierung formuliert. Die neue Bundesregierung hat das bereits aufgegriffen und die Beteiligten zu ersten Stellungnahmen aufgefordert: die BRAK beteiligt sich aktiv an der Diskussion und hat bereits unter Nummer 2/2022 eine erste Stellungnahme abgegeben:  https://www.brak.de/fileadmin/05_zur_rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2022/stellungnahme-der-brak-2022-02.pdf

Es bleibt auch abzuwarten, wie sich die neue Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung positionieren wird.

Zentral für die Diskussion ist nach wie vor der unscharfe Begriff des Inkassos und der nicht-anwaltlichen Inkassodienstleistern gestatteten Nebenleistungen. Hier besteht Klarstellungsbedarf; vereinzelt meinen nicht-anwaltliche Inkassodienstleister gar, ihnen seien nunmehr x-beliebige Rechtsdienstleistungen gestattet.

Die Tendenz des Gesetzgebers und der Rechtsprechung in den letzten Jahren war klar: es gibt im außergerichtlichen Bereich immer weniger Vorbehaltsaufgaben für die Anwaltschaft im Vertrauen darauf, dass der Markt für die Qualität sorgen werde, weil sich schlechte Beratungsangebote nicht durchsetzen werden. Das ist schon vom Grundsatz her ein zweifelhafter Ansatz – bei Ärzten kommt wohl niemand auf die Idee, die Qualität der Behandlung dem Markt zu überlassen. Warum das in für das rechtsuchende Individuum so sensiblen und existentiellen Bereichen wie dem Familienrecht, dem Erbrecht, Strafrecht, Aufenthaltsrecht aber auch z.B. dem Arbeitsrecht und Steuerrecht anders sein soll, ist nicht evident.

Tatsächlich steht zur Diskussion, ob die nicht-anwaltlichen Dienstleister im außergerichtlichen Bereich den Anwälten komplett gleichgestellt werden sollen: gleiche Pflichten und gleiche Rechte – was zu der Frage führt, wozu man sich Studium, Referendariat und zwei Staatsexamina antun soll, wenn man keine Vorteile davon hat.

Ob sich die Anwaltschaft hier mit ihren Argumenten Gehör verschaffen kann, dass die Regulierungen der Sicherung der Qualität anwaltlicher Arbeit zum Wohle der Mandanten dienen, bleibt abzuwarten.

Klar ist, dass der wirtschaftliche Druck auf die Anwaltschaft zunehmen wird: weite Teile der Rechtsberatung werden von nicht-anwaltlichen Dienstleistern übernommen werden – alles, was sich mithilfe von Technik skalieren lässt, wird von LegalTech-Anbietern versucht werden. Natürlich sind die LegalTech-Anbieter nur an lukrativen Fällen interessiert – die wenig auskömmlichen Fälle verbleiben für die Anwaltschaft, die sich über die lukrativen Fälle nicht mehr quersubventionieren kann.

Die Anwaltschaft wird auch im Zuge der Bestrebungen zur immer kleinteiligeren und lückenloseren Bekämpfung der Geldwäsche weiter unter Druck geraten: auch hier wird ein schlichtweg konstitutives Merkmal einer freien Anwaltschaft, die Schweigepflicht, immer weiter ausgehöhlt werden. Jedenfalls im außergerichtlichen Bereich ist das Bewusstsein für die Bedeutung der Schweigepflicht gerade auf europäischer Ebene nicht sehr ausgeprägt. Und von dort kommen auch Bestrebungen, die Selbstverwaltung der Anwaltschaft abzuschaffen: Anwälte sollen unmittelbar vom Staat kontrolliert werden, um dem Staat eine effektivere „Kontrolle“ der Anwaltschaft zu ermöglichen.

Diese Tendenzen befeuern alle eine drohende Spaltung der Anwaltschaft: ein Zurückdrängen der Anwaltschaft, wie wir sie heute kennen, auf den gerichtlichen Bereich und eine neue Anwaltschaft, die deutlich weniger Berufspflichten unterworfen ist, aber dafür auch weniger Rechte hat. Dieser Entwicklung muss entgegengetreten werden – die Rechtssuchenden brauchen auch schon unterhalb der Schwelle einer gerichtlichen Auseinandersetzung eine freie und unabhängige Anwaltschaft.

In einem Zusammenhang mit der Abgrenzung zu nicht-anwaltlichen Rechtsdienstleistern steht die Frage der anwaltlichen Fortbildung – die Anwaltschaft wird sich nur durch Qualität abgrenzen und behaupten können und es bleibt die Frage, ob es dazu institutionalisierter Fortbildungen und Kontrollen bedarf.

Aber auch abgesehen von der Abgrenzung zu nicht-anwaltlichen Rechtsdienstleistern wird sich das Berufsrecht weiter verändern: die Selbstverwaltung muss der Digitalisierung angepasst werden, es müssen also z.B. Schriftformerfordernisse gestrichen werden und Zusammenkünfte, z.B. auch die Kammerversammlungen, müssen auch in digitalen Formaten möglich sein. Außerdem stehen weitere Themen auf der Agenda: z.B. Fremdbesitzverbot, Zukunft der Fachanwaltschaften und Fortbildungspflicht; siehe dazu z.B. die Dokumentation von Henssler der Jahrestagung des Kölner Anwaltsinstituts Ende 2021in AnwBl 2022, 152ff.

Alle diese Diskussionen erfordern eine engagierte Beteiligung der Anwaltschaft – wer, wenn nicht die Anwältinnen und Anwälte selbst, kann und sollte für die Anwaltschaft kämpfen? Wir alle sind also darauf angewiesen, dass sich so viele Kolleginnen und Kollegen an der Diskussion beteiligen. Dazu gibt es sehr viele Möglichkeiten – aber eine sehr gute Möglichkeit ist die Mitarbeit in der Selbstverwaltung. Deshalb an dieser Stelle die Einladung und der Appell – beteiligen Sie sich an der Selbstverwaltung: kommen Sie zur Kammerversammlung, beteiligen Sie sich an den Wahlen und am besten arbeiten Sie im Vorstand mit oder übernehmen Sie eines der vielen Ehrenämter!

Ganz unabhängig von den politischen Diskussionen brauchen wir engagierte Kolleginnen und Kollegen in der Selbstverwaltung schon deshalb, weil es sonst keine Selbstverwaltung mehr gibt. Und das kann keine Anwältin und kein Anwalt wollen.