HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 2/2022 vom 29. März 2022

III. Tätigkeit des Vorstands im Berichtsjahr

15. Rechtspolitik

Wie erwartet und im letzten Geschäftsbericht vorhergesagt, war 2021 ein Jahr, das tiefgreifende Veränderungen für die Anwaltschaft gebracht hat und Entwicklungen angestoßen hat, die uns die nächsten Jahre begleiten werden.

Es gab eine wahre Flut von Gesetzen, die zum Teil überhastet noch auf den letzten Metern der in 2021 abgelaufenen Legislatur des Bundestages verabschiedet wurden. Der dadurch verursachte Zeitdruck hat eine Beteiligung der Anwaltschaft in weiten Teilen unmöglich gemacht – die Anhörungsfristen waren teilweise so kurz und die Zeitpläne für die Beratungen der Gesetze nach dem Ende der Anhörungsfristen so kurz, dass man teilweise den Eindruck gewinnen konnte, dass eine Beteiligung auch gar nicht gewünscht war. Dieses Problem hat nicht nur die Anwaltschaft, aber es tut den Gesetzen nicht gut, wenn die betroffenen Gruppen nicht hinreichend in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden. Der Vorstand der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer hat sich intensiv an den Diskussionen über die Änderungen beteiligt und tut dies weiterhin. Namentlich unser Präsident Herr Dr. Lemke hat an unzähligen Veranstaltungen teilgenommen, meist in prominenter Position auf dem Podium, und an Publikationen der BRAK und des CCBE mitgearbeitet. Zum anderen gab es auch wieder wegweisende Entscheidungen der Gerichte.

I. Berufsrecht

a. Gesetze


Im abgelaufenen Berichtsjahr sind eine Vielzahl von Gesetzen verabschiedet worden.

1.) Zum 1.1.2021 ist die Anpassung der Anwaltsvergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in Kraft getreten (Entwurf aus BT-Drs. 19/23484 und Beschlussempfehlung und Bericht Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz aus BT-Drs. 19/24740; das Gesetz ist verkündet im BGBl. I 2020, 3229). Die Anpassung - die erste seit mehr als sieben Jahren - ist das Ergebnis eines jahrelangen Ringens und beharrlichen Forderns der Anwaltsorganisationen. Sie bleibt hinter den Erwartungen zurück und ist aus Sicht der Anwaltschaft unzureichend. Hier verweisen wir auf den Abschnitt „Gebührengutachten“.

2.) Am 18.3.2021 ist das Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche in Kraft getreten (Entwurf aus BT-Drs. 19/24180 mit Beschlussempfehlung und Bericht Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz aus BT-Drs. 19/26602; das Gesetz ist verkündet in BGBl. I 2021, 327). Das Gesetz schafft den Vortatenkatalog für die Geldwäsche ab und führt damit zu einer massiven Ausweitung der Strafbarkeit.

3.) Am 1.8.2021 ist das Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften in Kraft getreten (Entwurf aus BT-Drs. 19/26828 mit Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates aus BT-Drs. 19/26920 und der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses aus BT-Drs. 19/30503; das Gesetz ist verkündet in BGBl I 2021, 2154); das Gesetz hat unter anderem Änderungen für die Organisation der Rechtsanwaltskammern und die Verfahren der Kammern gebracht: so wurden z.B. die Verfahrensregeln für die Einberufung der Kammerversammlungen geändert. Für die Mitglieder bedeutend sind die Änderungen bei der Bestellung einer Vertretung, z.B. für den Urlaub – diese ist jetzt nicht mehr der Kammer anzuzeigen und wird nicht mehr im Anwaltsverzeichnis eingetragen; vielmehr müssen unsere Mitglieder der Vertretung jetzt selbst die Rechte im beA, die die Vertretung benötigt, einrichten; grundlegende Änderungen enthielt das Gesetz nicht.

4.) Am 01.10.2021 ist das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften mit Änderungen im RDG, RVG und der BRAO in Kraft getreten (Entwurf aus BT-Drs. 19/20348, Beschlussempfehlung und Bericht Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz aus BT-Drs.19/24735; das Gesetz ist verkündet in BGBl. I 2020, 3320). Die Rechtsanwaltskammern hatten vergeblich versucht, dieses Gesetz zu verhindern: es geht von der unzutreffenden Prämisse aus, dass Rechtsanwältinnen bzw. Rechtsanwälte und gewerbliche Inkassodienstleister gleich seien und deshalb gleich zu behandeln seien; es bringt Verschlechterungen für die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und es bringt in § 43d BRAO-neu systemwidrige Informationspflichten im Interesse des Gegners (!).

5.) Ebenfalls am 1.10.2021 ist das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt in Kraft getreten (Entwurf aus BT-Drs. 19/27673 mit der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses aus BT-Drs. 19/30495; das Gesetz ist verkündet in BGBl. I 2021, 3415). Das Gesetz hat weitere Änderungen in BRAO, RVG und RDG gebracht. Vor allem hat es für Rechtsanwälte Erfolgshonorare in einem weiteren Umfang als bisher zugelassen und das Zulassungsverfahren und die Informationspflichten für nicht-anwaltliche Inkassodienstleister verschärft. Das Gesetz basiert auf der Idee, dass Rechtsanwälte und nicht-anwaltliche Inkassodienstleister in einem fairen Wettbewerb stehen sollen und deshalb gleichen oder zumindest ähnlichen Regulierungen unterworfen sein müssen.

6.) Das Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe (Entwurf aus BT-Drs. 19/27670 mit Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses aus BT-Drs. 19/30516); das Gesetz ist bereits verkündet (BGBl I 2021, 2363), tritt aber erst am 01.08.2022 in Kraft. Dieses Gesetz wird grundlegende Veränderungen im Berufsrecht mit sich bringen; siehe dazu den Abschnitt „Berufsrecht“.

7.) Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) (Entwurf aus BT-Drs. 19/27635, Beschlussempfehlung Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz aus BT-Drs. 19/30942 und Bericht Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz aus BT-Drs. 19/31105). Das Gesetz ist verkündet in BGBl. I 2021, 2436 und tritt am 1.1.2024 in Kraft. Das Gesetz reformiert das Personengesellschaftsrecht und damit das Recht auch der BGB-Gesellschaft grundlegend und hat deshalb auch für viele Sozietäten, nämlich alle, die als Personengesellschaft organisiert sind, Bedeutung.


b. Rechtsprechung

Im abgelaufenen Berichtsjahr sind zwei wichtige BGH-Entscheidungen zur Abgrenzung der anwaltlichen von der nicht-anwaltlichen Tätigkeit getroffen worden:

1.) Das erste Urteil in diesem Zusammenhang geht auf ein von der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer betriebenes Verfahren zurück: das „Smartlaw-Urteil“ des BGH vom 9. September 2021 (BGH, Urteil vom 9.9.21, I ZR 113/209). Der BGH hat für den konkreten Fall entschieden, dass der dort angebotene Vertragsgenerator (der automatisiert dem Kunden Fragen stellt und auf der Grundlage einen Vertrag entwirft) auch von einem Nicht-Rechtsanwalt betrieben werden darf: das Angebot sei zulässig, weil keine Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten durch den Algorithmus, der den Kunden durch das Programm leitet, erbracht werde. Der Bundesgerichtshof ist der Meinung, der Kunde erhalte für seine Vertragsgestaltung keine individuelle Beratung. Mehr Informationen zu diesem Fall siehe oben im Abschnitt „Unerlaubte Rechtsberatung/Wettbewerbsrechtliche Verfahren“.

2.) Das zweite Urteil betrifft die sogenannten „unechten Sammelklagen“, bei denen als Inkassounternehmen registrierte LegalTech-Anbieter eine Vielzahl von Ansprüchen bündeln, indem sie sich diese zum Zwecke der Einziehung auf fremde Rechnung abtreten lassen. Hier hatten, im Nachgang zur Lexfox/wenigermiete.de-Entscheidung des BGH (Urt.v.27.11.2019, VIII ZR 285/18), zahlreiche Instanzgerichte entschieden, dass dieses Einsammeln von Ansprüchen von vornherein mit dem Ziel, sie klageweise geltend zu machen, nicht von einer Inkassolizenz gedeckt sei. Dem hat der BGH eine Absage erteilt: BGH, Urt.v. 13.7.2021, II ZR 84/20, "Airdeal"-Entscheidung. Auch nicht-anwaltlichen Inkassodienstleistern sei eine solche Tätigkeit erlaubt. Das OLG Schleswig allerdings hat inzwischen Anfang 2022 entschieden, dass das Urteil des BGH keine generelle Erlaubnis für Sammelklagen durch lizenzierte Inkassounternehmen sei: in seinem Urteil vom 11.1.2022, 7 U 130/21, hat das Gericht entschieden, dass die treuhänderische Forderungsabtretung an einen prozessfinanzierenden Inkassodienstleister, der von vornherein die gerichtliche Durchsetzung tausender, heterogener Forderungen vermeintlich vom sog. Diesel-Abgasskandal betroffener Fahrzeugeigentümer in Form einer Sammelklage bezweckt, gegen §§ 3,4 RDG verstößt und deshalb nichtig ist. Die "Airdeal"-Entscheidung des BGH ignoriere die gesetzgeberische Entscheidung, dass der Inkassobegriff auch künftig "nicht über Gebühr ausgedehnt werden solle". Im übrigen sei der Sachverhalt aber auch mit dem "Airdeal"-Fall nicht vergleichbar, weil im Fall des OLG-Schleswig viel mehr Ansprüche gebündelt worden waren. 

c.

Die Reform des Berufsrechts ist grundsätzlich zu begrüßen – die Erweiterung der sozietätsfähigen Berufe und die Erweiterung der möglichen Organisationsformen werden der Anwaltschaft hoffentlich die Organisation ihrer Arbeit erleichtern und neue Spielräume eröffnen.

Welche Auswirkungen die Öffnung des Rechtsberatungsmarktes auch für ausländische Anbieter hat, bleibt abzuwarten.

Im Verhältnis zwischen Rechtsanwälten und nicht-anwaltlichen Anbietern von Rechtsdienstleistungen hat das Jahr tiefgreifende Veränderungen für die Anwaltschaft gebracht. Gesetzgebung und Rechtsprechung haben nicht-anwaltlichen Anbietern in großem Umfang erlaubt, Rechtsdienstleistungen anzubieten. Nach Lesart einzelner Vertreter der LegalTech-Gesellschaften können nicht-anwaltliche Rechtsdienstleister nunmehr, gestützt auf eine Inkassolizenz nach §10 RDG, Rechtsdienstleistungen im gleichen Umfang wie Rechtsanwälte erbringen. Das ist so sicher nicht richtig, aber die Grenzen haben sich deutlich zugunsten der nicht-anwaltlichen Anbieter verschoben.

Die Entwicklung ist noch lange nicht zu Ende; siehe dazu den Abschnitt „Ausblick 2022“.


II. Zivilprozess

Ein wichtiges Thema in 2021 war auch die Reform des Zivilprozesses. Die von den Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs eingesetzte Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ hat Anfang 2021 ihren Gesamtbericht als Diskussionspier veröffentlicht. Darin wurden die im Sommer 2020 publizierten Thesen zur Modernisierung des Zivilprozesses erläutert und begründet. Einer der Kernpunkte des Papiers ist die Schaffung eines gemeinsamen „Basisdokuments“, das das vollständige Parteivorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht enthalten soll und in dem der Kläger- und Beklagtenvortrag im Sinne einer Relationstabelle nebeneinander darstellt werden soll. Die Diskussionen darüber dauern an, so z.B. auf dem am 2. Februar 2021 vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg veranstalteten bundesweiten Zivilrichtertag, einer am 26. Februar 2021 vom Forschungs­in­stitut für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin mit Frau Prof. Dr. Giesela Rühl und Herrn Prof. Dr. Reinhard Singer veranstalteten Konferenz, auf der Expertinnen und Experten aus Wissen­schaft, Anwalt­schaft und Richter­schaft die Vorschläge diskutierten, und am 8. Juni 2021 in einer auf Einladung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Koblenz veranstalteten weiteren Tagung der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs.

Ebenso dauert die Diskussion über die Ursachen für den Rückgang der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten an. Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) hat dazu ein Forschungsprojekt aufgesetzt, in dem zunächst die statistischen Grundlagen und dann die Ursachen ermittelt werden sollen. Mit dem Forschungsprojekt betraut wurde die Interval GmbH, die die Untersuchung zusammen mit Frau Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich und Herrn Prof. Dr. Armin Höland von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der früheren Präsidentin des Kammergerichts, Frau Monika Nöhre, durchführen wird.

Im Rahmen dieses Forschungsprojekts hat sich unser Präsident Herr Dr. Lemke mit Frau Nöhre getroffen und zu dem Thema ausgetauscht. Auch die BRAK unterstützt das Vorhaben und hat die Kammer Hamburg als eine der Rechtsanwaltskammern in Deutschland ausgesucht, deren Mitglieder im Wege einer Umfrage die statistischen Grundlagen liefern sollen. Die Kammer hat diese Umfrage mit dem Schnellbrief 8/2021 vom 2.9.2021 an ihre Mitglieder verschickt.

Das Forschungsprojekt dauert an.


III. Pakt für den Rechtsstaat

Die Diskussion um die Ausstattung der Justiz in Hamburg ging auch im Berichtsjahr weiter. Nach wie vor ist die personelle und sachliche Ausstattung der Gerichte unzureichend, was sich in teilweise unzumutbar langen Verfahrensdauern widerspiegelt. Außerdem ist die technische Ausstattung der Gerichte nicht ausreichend. Allerdings ergibt sich kein einheitliches Bild: sowohl bei der Ausstattung der Gerichte zur Durchführung von Video-Verhandlungen, wie auch bei der Umsetzung des elektronischen Rechtsverkehrs zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen den Gerichtsbarkeiten. Die ordentliche Gerichtsbarkeit ist tendenziell schlechter aufgestellt als die Spezialgerichtsbarkeiten. Die Kammer nutzt jede Gelegenheit, hier für eine bessere Ausstattung der Justiz zu werben, weil dies im Interesse der Anwaltschaft und ihrer Mandanten ist. Außerdem steht die Kammer in ständigem Kontakt mit den Gerichten, um den elektronischen Rechtsverkehr so reibungslos wie möglich zu gestalten.  

Die Zukunft der Rechtspflege ist auch auf Bundesebene ein wichtiges Thema. Im Frühjahr hatten die im Rechtsstandort Hamburg e.V. zusammengeschlossenen Institutionen, darunter auch die Hanseatische Rechtsanwaltskammer, einen Aufruf zur Fortschreibung des Paktes für den Rechtsstaat von Bund und Ländern veröffentlicht. Auch die BRAK und der DAV haben sich auf Bundesebene dafür eingesetzt und konkrete Forderungen formuliert. Inzwischen haben sich die Länder grundsätzlich auf einen „Pakt für den Rechtsstaat 2.0“ verständigt – er soll die Digitalisierung der Justiz vorantreiben. Das ist auch für die Anwaltschaft eine gute Nachricht. Allerdings ist unverständlich, dass  dieser Pakt nur als „Stärkungspakt Justiz“ bezeichnet ist und die Anwaltschaft keine direkte Berücksichtigung findet. Hier muss von der Politik nachgebessert werden.



IV. Insolvenzverwalter, Mediatoren 

Das Vorhaben, für die Insolvenzverwalter ein eigenes Berufsrecht zu schaffen, wurde in der vergangenen Legislatur nicht mehr beendet. Die Diskussionen darüber dauern an.

In der Diskussion ist auch, ob die Mediatoren eine eigene Selbstverwaltung bekommen sollen.