HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 3/2023 vom 1. Juni 2023

BGH: Versandkontrolle umfasst auch die Auswahl der richtigen Datei

Nach einem Beschluss des BGH erfordert die Kontrolle der ordnungsgemäßen Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes (hier die Berufungsbegründung) über das beA auch die Prüfung anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens, ob der richtige Schriftsatz (also die richtige Datei) versendet wurde.

Der Kläger hat den Beklagten auf Räumung und Herausgabe verklagt, nachdem das Wohnraummietverhältnis aufgrund von Zahlungsverzug gekündigt wurde. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Der Beklagte hat fristgerecht Berufung eingelegt und um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 2.3.2022 gebeten. Mit Schriftsatz vom 11.1.2022 (am 12.1.2022 über das beA versendet), fragte der Prozessbevollmächtigte nach, ob die Fristverlängerung bewilligt worden sei. Dies bejahte das Berufungsgericht.

Am 25.2.2022 übermittelte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten per beA erneut einen Schriftsatz vom 11.1.2022 (Dateiname "M_89_21_LG_Bln_SS_11_01_22.pdf.p7s") zusammen mit einer Geburtsurkunde für die Tochter des Beklagten an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht wies am 23.3.2022 darauf hin, dass keine Berufungsbegründung eingegangen sei. Daraufhin reichte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 29.3.2022 per beA einen Schriftsatz vom 23.2.2022 mit der Berufungsbegründung ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Ursprünglich hatte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten vorgetragen, dass die Berufungsbegründung ordnungsgemäß versendet worden sei und ein Versandprotokoll als Bestätigung vorlag, welches er selbst kontrolliert habe. Auf Hinweis des Berufungsgerichts, wonach die beA-Protokolle zu der am 25.2.2022 erfolgten Übermittlung auf einen Schriftsatz vom 11.1.2022 statt der Berufungsbegründung vom 23.2.2022 hindeuteten, änderte er seine Argumentation und gab an, dass es aufgrund eines „Augenblicksversagens“ der Kanzleiangestellten bei der Auswahl der zu versendenden Datei zu einer Verwechslung gekommen sei. Der Prozessbevollmächtigte habe die Arbeitsschritte überprüft und auf die Richtigkeit des versendeten Schriftsatzes vertraut. Für ihn sei nicht erkennbar gewesen, dass der verkürzt im Prüfprotokoll wiedergegebene Dateiname auf den Schriftsatz vom Januar hindeutete. Die von der Kanzleiangestellten gewählten Bezeichnung der Anlage als „Berufungsbegründung“ sei richtig gewesen. Er argumentierte, dass die Verpflichtung zur Nutzung des beA erst seit kurzem bestand und der Sorgfaltsmaßstab entsprechend anzupassen sei. Der Beklagte forderte daher die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Berufung auf das Recht auf ein faires Verfahren.

Das Berufungsgericht lehnte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Dieser Auffassung schloss sich der BGH an: Zu Recht und ohne Überspannung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten habe das Berufungsgericht beanstandet, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten sich bei seiner Prüfung, ob auch das richtige Dokument übermittelt wurde, allein auf die im Übermittlungsprotokoll enthaltene Angabe zur „Bezeichnung“ des Dokuments in der Rubrik „Anhänge“ verlassen und dem dort gleichfalls angegebenen Namen der versandten Datei keine, jedenfalls nicht die für die Überprüfung gebotene Bedeutung beigemessen habe. Die anwaltliche Sorgfalt bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze mittels beA erfordere eine Prüfung anhand des zuvor vergebenen Dateinamens, ob sich die automatisierte elektronische Eingangsbestätigung des Gerichts auch auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte. Dies rechtfertige sich daraus, dass bei einem Versand über beA – anders als bei einem solchen über Telefax, bei dem das Original des Schriftsatzes zur Übermittlung in das Telefaxgerät eingelegt wird – eine Identifizierung des zu übersendenden Dokuments nicht mittels einfacher Sichtkontrolle möglich ist und deshalb eine Verwechslung mit anderen Dokumenten, deren Übersendung nicht beabsichtigt ist, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.

Diesen Anforderungen sei die Ausgangskontrolle des Prozessbevollmächtigten des Beklagten unter Zugrundelegung des Wiedereinsetzungsvortrags nicht gerecht geworden. Gemäß diesem Vorbringen habe der Prozessbevollmächtigte insoweit im Übermittlungsprotokoll lediglich die Spalte „Bezeichnung“ unter der Überschrift „Anhänge“ geprüft und dabei auf die Richtigkeit der dort von der Kanzleiangestellten gemachten Angabe „Berufungsbegründung“ vertraut. Diese Spalte enthalte aber nicht den Dateinamen, sondern ermöglicht es dem Verfasser der beA-Nachricht, beim Hochladen der als Anlage ausgewählten Datei einen beliebigen Text zur näheren Beschreibung des Dateiinhalts hinzuzufügen.

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ergäbe sich ein Wiedereinsetzungsgrund auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen für das Fristversäumnis mitursächlichen Pflichtverletzung des Gerichts. Das Berufungsgericht sei aufgrund der aus dem Gebot des fairen Verfahrens in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot folgenden gerichtlichen Fürsorgepflicht nicht verpflichtet gewesen, den erneuten Eingang der Sachstandsanfrage vom 11.1.2022 zum Anlass zu nehmen, den Prozessbevollmächtigten des Beklagten noch vor Ablauf der bis zum 2.3.2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist darauf hinzuweisen, dass dieser am 25.2.2022 die Sachstandsanfrage anstatt einer Berufungsbegründung übermittelt hat. Es habe weder angesichts der kurz zuvor erfolgten Gewährung der Fristverlängerung noch im Hinblick auf die Übersendung der Geburtsurkunde als Anlage zum Schriftsatz offen zutage gelegen, dass von Beklagtenseite nunmehr im Räumungsrechtsstreit – mit einer Berufungsbegründung – zur Sache selbst vorgetragen werden sollte und deshalb die Auswahl des übersandten Dokuments offenkundig auf einem Versehen beruhen musste.

BGH, Beschluss vom 21.3.2023 - VIII ZB 80/22