HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 3/2023 vom 1. Juni 2023

BGH: qeS muss am richtigen Dokument sein

Nach einem Beschluss des BGH ersetzt die qualifizierte elektronische Signatur (qeS) einer Anlage zur Berufungsschrift nicht die fehlende qeS der gleichzeitig über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) übersandten Berufungsschrift. Wäre aber eine qeS an der Berufungsschrift erforderlich gewesen, ist das Berufungsgericht – entsprechend den Grundsätzen über das Fehlen der Unterschrift – lediglich im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs verpflichtet, die Partei darauf hinzuweisen und ihr gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, den Fehler vor Ablauf der Berufungsfrist zu beheben.

In dem vorliegenden Fall ist die Berufungsschrift nicht über einen sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden, so dass der Einsatz einer qeS erforderlich war. Leider war die Berufungsschrift selbst aber nicht mit einer qeS versehen, sondern nur die Anlage zur Berufungsschrift als separates PDF-Dokument, die das angefochtene Urteil enthält.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtete sich die Rechtsbeschwerde, die der BGH als unzulässig zurückwies.

In seiner Entscheidung legte der BGH noch einmal die grundlegenden Anforderungen für die Einreichung elektronischer Dokumente bei den Gerichten dar. So müsse das elektronische Dokument mit einer qeS der verantwortenden Person versehen sein (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO) oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 2 ZPO). Nur dann seien Echtheit und Integrität des Dokuments gewährleistet. Die sicheren Übermittlungswege ergäben sich aus § 130a Abs. 4 ZPO, wozu namentllich das besondere elektronische Anwaltspostfach (§§ 31a, 31b BRAO) gehöre (vgl. § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Ein mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes Dokument dürfe außer auf einem sicheren Übermittlungsweg auch an das EGVP übermittelt werden (§ 4 Abs. 1 ERVV).

Diesen Anforderungen werde die eingereichte Berufungsschrift nicht gerecht, da sie weder über einen sicheren Übermittlungsweg noch mit einer qeS eingereicht worden sei. Die qeS der Anlage biete keine Gewähr dafür, dass der Prozessbevollmächtigte Urheber der Berufungsschrift ist und er diese in den Rechtsverkehr bringen will. Auch könne die Berufungsschrift ohne qeS und deren Anlage mit qeS nicht als eine „gewollte Einheit“ betrachtet werden. Zu einer mit einem „Paket“ aus Anschreiben und Berufungsschrift vergleichbaren Verbindung der im EGVP-Verfahren übermittelten Dokumente könne es nicht kommen. Mehrere elektronische Dokumente dürften nicht mit einer gemeinsamen qeS übermittelt werden (§ 4 Abs. 2 ERVV). Entsprechend genüge die qualifizierte Container-Signatur seit dem 1.1.2018 nicht mehr den Anforderungen des § 130a ZPO.

Auch gehe die Fristversäumnis zu Lasten der betroffenen Partei; ein Verschulden des Berufungsgerichts läge nicht vor. Es bestehe keine generelle Verpflichtung des Gerichts, die Formalien des als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes sofort zu prüfen. Die unverzügliche Hinweispflicht des Gerichts nach § 130a Abs. 6 ZPO beziehe sich nur auf elektronische Dokumente, die die unmittelbar im Gesetz vorgesehenen Formvoraussetzungen erfüllen, also entweder mit qualifizierter Signatur oder mit einfacher Signatur auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wurden. Nicht erfasst seien elektronische Dokumente ohne qualifizierte elektronische Signatur, die ohne eine sichere Anmeldung des Absenders an das Gericht gesandt worden sind. § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO erfasse nur den Irrtum über die in der Verordnung gemäß Absatz 2 niedergelegten technischen Rahmenbedingungen, nicht jedoch den Verstoß gegen die Mindestanforderungen in § 130a Abs. 3 ZPO, da eine Heilung nicht möglich ist, wenn Authentizität und Integrität des elektronischen Dokuments nicht hinreichend gesichert sind (zum Ganzen vgl. BT-Drs. 17/12634 S. 26 f.).

BGH, Beschluss vom 19.1.2023 – V ZB 28/22