HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 2/2023 vom 27. März 2023

XII. Ausblick 2022

XII. Ausblick 2023

1. Corona, Ukraine 

Eine gute Nachricht vorweg: die im letzten Geschäftsbericht geäußerte Hoffnung hat sich erfüllt: wir haben es in 2022 geschafft, die Corona-Pandemie zu überwinden. Zwar wird uns Corona auch in Zukunft begleiten, aber wir dürfen davon ausgehen, dass es uns nicht mehr in unserer Arbeit beschränken wird.
 
Wir hoffen, dass wir den Geschäftsbericht nächstes Jahr mit einer noch besseren Nachricht beginnen können: dass der Krieg in der Ukraine in 2023 geendet hat und eine friedliche und dauerhafte stabile Lösung für die Region und die Beziehungen Russlands zum Rest der Welt gefunden wurde. Das ist das wichtigste Ziel für 2023.

2. Berufsausübungsgesellschaften

Die Zulassung von Berufsausübungsgesellschaften wird in 2023 Routine sein. Der „Berg“ an Zulassungsanträgen der Bestandsgesellschaften, die schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes existierten, wird abgearbeitet sein und die Abläufe werden sich eingespielt haben.
 
Was bleibt, ist der hohe Verwaltungsaufwand, den die Verwaltung der Berufsausübungsgesellschaften als Mitglieder verursacht: die Gesellschaften müssen (unnötig) viele Meldungen an die Kammer machen und die Kammern müssen (unnötig) viele Daten nachhalten. Aber die Kammern haben das vorausgesehen uns sind vorbereitet.
 
Und natürlich werden noch Rechtsfragen zu klären sein, aber das ist bei jeder Gesetzesnovelle der Fall.
 
Es bleibt abzuwarten, ob sich zukünftig mehr Berufsausübungsgesellschaften freiwillig zulassen lassen werden – bisher ist das nicht erkennbar.

3. Online-Tool für Mitglieder

Wie im letzten Geschäftsbericht angekündigt, entwickelt die Hanseatische Rechtsanwaltskammer mit anderen Kammern und einem IT-Dienstleister ein „Tool“, das es in einem ersten Schritt ermöglichen soll, dass die Mitglieder eine Änderung der im bundesweiten amtlichen Anwaltsverzeichnis angezeigten Daten online beantragen können, damit diese nach Freigabe durch die Kammer automatisch geändert werden. Später soll das Tool nach und nach um weitere Funktionen erweitert werden.
 
Leider gibt es (wegen technischer Schwierigkeiten in der Abstimmung verschiedener IT-Systeme) erhebliche Verzögerungen in dem Projekt. Zwar verursachen diese Verzögerungen keine Kosten für die Kammer, aber die erhofften Verbesserungen in den Arbeitsabläufen lassen auf sich warten. Wir arbeiten weiter mit Hochdruck an diesem Projekt.
 
Ungeachtet der Schwierigkeiten setzt die Kammer weiterhin auf die Digitalisierung – das gilt sowohl für die Arbeitsabläufe im internen Geschäftsbetrieb, wie für den Service für die Mitglieder. Aber natürlich bleibt der persönliche Kontakt essentiell: es ist nicht das Ziel, dass die Mitglieder ihre Anliegen nur noch mit Chat-Bots erörtern können.

 

4. Rechtspolitik

Die rechtspolitische Diskussion um die Abgrenzung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte von den nicht-anwaltlichen Anbietern von Rechtsdienstleistungen hat an Dynamik verloren, nachdem der Gesetzgeber und die Rechtsprechung den nicht-anwaltlichen Anbietern mit einer Inkassolizenz Tür und Tor geöffnet haben. Zwar ist der Begriff des „Inkassos“ nach wie vor unscharf und tatsächlich steht nach wie vor zur Diskussion, ob die nicht-anwaltlichen Dienstleister im außergerichtlichen Bereich den Anwältinnen und Anwälten komplett gleichgestellt werden sollen. Grundlegende Änderungen dürften aber jedenfalls nicht kurzfristig zu erwarten sein, so dass sich die Diskussion zunächst auf Abgrenzungsfragen und die Feinjustierung verlagern dürfte.
 
Noch nicht am Ende angekommen ist die Diskussion über die Fremdkapitalbeteiligung an anwaltlicher Berufsausübung – sollen Nicht-Anwälte als Eigenkapitalgeber am Erfolg anwaltlicher Tätigkeit beteiligt werden dürfen? Hier gehen die Meinungen nach wie vor weit auseinander.
 
Dafür wird die Diskussion um die Digitalisierung der Justiz und der Anwaltschaft in den Vordergrund rücken. Ganz konkret läuft schon die Erprobung für den „strukturierten Parteivortrag“ in einem „Reallabor“ unter Einsatz eines digitalen „Basisdokuments“, das von den Parteien und dem Gericht bearbeitet wird.
 
Aber auch die Diskussion über den Einsatz von Technik in der Fallbearbeitung durch Anwältinnen und Anwälte, und dort insbesondere „künstliche Intelligenz“, wird und muss breiter und intensiver geführt werden: wo hört Bürotechnik auf und wo fängt künstliche Intelligenz an? Wie transparent muss der Einsatz von Technik und künstlicher Intelligenz gestaltet werden? Welche Arbeitsschritte bleiben den Menschen vorbehalten? Muss es immer eine Schlusskontrolle durch einen Menschen geben? Muss es eine Letztverantwortung eines Menschen geben? Mit dem Eintritt von „ChatGPT“ hat dieses Thema ein neues Niveau erreicht: es ist offenbar geworden, wie rasant die Entwicklung vorausschreitet und zu welchen Leistungen „künstliche Intelligenz“ fähig ist.
 
Die Bestrebungen der Politik, eine immer kleinteiligere und lückenlosere Bekämpfung der Geldwäsche (die begrifflich inzwischen extrem weit ist) voranzutreiben, halten an. Der Druck und die Belastungen für die Anwaltschaft werden weiter zunehmen; jedenfalls im außergerichtlichen Bereich ist das Bewusstsein für die Bedeutung der Schweigepflicht gerade auf europäischer Ebene nicht sehr ausgeprägt.
 
Auch die Bedrohungen für die Selbstverwaltung der Anwaltschaft sind nicht vom Tisch: nach wie vor gibt es Stimmen, die eine unmittelbar Kontrolle der Anwaltschaft durch den Staat fordern.
 
Und 2023 wird endgültig eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre in den Vordergrund treten: der demographische Wandel. Mittelbar betroffen ist die Anwaltschaft durch die Probleme der Gerichte und der öffentlichen Verwaltung, qualifizierten Nachwuchs zu finden: schon heute führen die Personalprobleme der Justiz zu unhaltbaren Zuständen an den Gerichten mit viel zu langen Verfahrenszeiten.
 
Aber der demographische Wandel wird die Anwaltschaft auch unmittelbar treffen: zum Beispiel wird es noch schwieriger werden, nicht-anwaltliches Personal für die Kanzlei zu finden. Und diese Schwierigkeiten werden zu einem Wettbewerb der potentiellen Arbeitgeber führen: einmal zu einem Wettbewerb zwischen Handel, Industrie, Verwaltung, Justiz und Anwaltschaft und zum anderen zu einem regionalen Wettbewerb – welche Region ist für die jungen Menschen am attraktivsten? Genauso wird es einen Wettbewerb um den anwaltlichen Nachwuchs geben – schon jetzt ist es in dünner besiedelten Gebieten kaum möglich, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für eine Kanzlei zu finden. Das wird sich verschärfen. Die damit verbundenen Folgen – Stichwort Versorgung mit Anwaltsdienstleistungen in der Fläche – betreffen die gesamte Gesellschaft.
 
Wir verbinden diesen Ausblick gerne wieder mit der Einladung und dem Appell an Sie alle, sich an der Selbstverwaltung zu beteiligen und in der Selbstverwaltung zu engagieren: kommen Sie zur Kammerversammlung, beteiligen Sie sich an den Wahlen und arbeiten Sie am besten im Vorstand mit oder übernehmen Sie eines der vielen Ehrenämter! Wir alle sind auf engagierte Kolleginnen und Kollegen angewiesen, um die Herausforderungen der nächsten Jahre meistern zu können.