Fremdbesitzverbot auf dem Prüfstand / Überlastung der Justiz / Überwachung von Anwälten / Israel
1. Fremdbesitzverbot auf dem Prüfstand
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit steht eines der – jedenfalls nach bisheriger Auffassung – Wesenselemente der Anwaltschaft auf der Kippe: das die anwaltliche Unabhängigkeit sichernde „Fremdbesitzverbot“. Jedenfalls bislang galt das „Fremdbesitzverbot“, d.h. das Verbot reiner Kapitalbeteiligungen an Rechtsanwaltsgesellschaften durch nicht in der Gesellschaft tätige Dritte, als Kernelement des anwaltlichen Selbstverständnisses. Dieses Fremdbesitzverbot steht nun auf dem Prüfstand des EuGH und könnte bald Geschichte sein; Investoren jeglicher Couleur wäre es dann möglich, sich an Rechtsanwaltsgesellschaften zu beteiligen oder solche gleich selbst zu gründen.
In Kürze: Der EuGH hat sich aufgrund eines Vorlagebeschlusses des Anwaltsgerichtshofs München mit der Frage zu befassen, ob das Fremdbesitzverbot mit der europarechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV) vereinbar ist und die Anforderungen an Nicht-Diskriminierung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Dienstleistungsrichtlinie (Art. 15 Abs. 3 a) – c) RiLi 2006/123/EG) erfüllt. Hintergrund des Vorlagebeschlusses ist der Umstand, dass die Rechtsanwaltskammer München einer in der Rechtsform der haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft betriebenen Rechtsanwaltsgesellschaft die Zulassung entzogen hat, weil an dieser eine nicht-anwaltliche österreichische GmbH mit 51 Prozent beteiligt wurde. Die Satzung der Rechtsanwaltsgesellschaft sieht u.a. vor, dass deren Geschäfte ausschließlich von Rechtsanwälten geführt werden und Einflussnahmen der Gesellschafter, der Gesellschafterversammlung oder anderer Geschäftsführer auf die Berufsausübung der Geschäftsführer unzulässig sind.
Im Kern wirft der Vorlagebeschluss die Frage auf, ob bloßes Satzungsrecht genügt, die anwaltliche Unabhängigkeit in gleicher Weise wie das gesetzliche Fremdbesitzverbot sicherzustellen. Wollte man dies bejahen, so stünde beliebigen Investoren wie etwa Rechtsschutzversicherungen, die ohnehin längst am vermeintlichen „Rechtsberatungsmonopol“ der Anwaltschaft rütteln, das Tor zur Gründung eigener Rechtsanwaltsgesellschaften offen.
Aus meiner Sicht ist bloßes Satzungsrecht nicht geeignet, die anwaltliche Unabhängigkeit in gleicher Weise zu sichern, wie das gesetzliche, in § 59e BRAO a.F. bzw. § 59i BRAO n.F. normierte Fremdbesitzverbot. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine von Interessenkonflikten freie und gegenüber dem Staat aber auch anderen Wirtschaftsteilnehmern und Dritten unabhängige Anwaltschaft für den Rechtsstaat von herausragender Bedeutung. Allein gesellschaftsvertragliche Regelungen können diese Unabhängigkeit nicht sichern - weshalb das Fremdbesitzverbot auch europarechtlich nicht zu beanstanden ist, wie die Ausschüsse EU und BRAO der BRAK in deren Stellungnahme Nr. 41 aufgezeigt haben. Im Gegenteil: Gesellschaftsverträge unterliegen nicht nur der Parteiautonomie und können jederzeit abgeändert werden und satzungsdurchbrechende Beschlüsse sind ebenfalls möglich. Vor allem jedoch: Wer glaubt denn ernsthaft daran, dass ein Investor, der Möglichkeiten zur Optimierung des Ertrags seines Investments sieht, von Einflussnahmen auf die Geschäftsführung der Gesellschaft – und sei dies bei einem „freundlichen“ Abendessen – absieht, nur weil ihm dies die Satzung verbietet? Ich jedenfalls nicht.
Es würde mich auch durchaus überraschen, wenn der EuGH das Fremdbesitzverbot „kippt“, wo es Anwälten im europäischen Ausland nicht einmal gestattet ist, sich ohne Bindung an das anwaltliche Berufsrecht an nicht-anwaltlichen Gesellschaften zu beteiligen und Zweitberufe auszuüben, die nach hiesiger Rechtslage mit dem Beruf des Rechtsanwalts allemal vereinbar sind – sei dies als LegalTech-Inkassounternehmer, Softwarehersteller oder Betreiber eines Gebrauchtwagenhandels.
Gleichwohl: Das Fremdbesitzverbot steht auch im Inland auf dem Prüfstand. Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP sieht vor, das Fremdbesitzverbot „prüfen“ zu wollen. Noch prüft der Bundesjustizminister. Wir müssen daher jetzt geschlossen dafür kämpfen, dass das Fremdbesitzverbot beibehalten bleibt, unsere Mandantinnen und Mandanten weiterhin auf unsere Unabhängigkeit vertrauen können und Rechtsanwaltskanzleien nicht zum Spielball von Investoren werden!
2. Überlastung der Justiz
Sie haben es nicht erst unserem Schnellbrief Ausgabe 8/2023 und der hierauf erfolgten Presseberichterstattung entnommen: Außerordentlich kritisch verfolgen wir auch die seit langem andauernde Überlastungssituation in der Hamburger Justiz, insbesondere am Amtsgericht. Die Justizsenatorin Anna Gallina hat uns zwischenzeitlich geantwortet und darauf verwiesen, dass der Fachkräftemangel ein durch den demografischen Wandel verursachtes strukturelles Problem sei, das nicht umgekehrt und dem nicht nur mit einer Maßnahme begegnet werden könne. Aufgrund der Vielschichtigkeit der Ursachen und Komplexität der Probleme müsse ein mittel- bis langfristiges Konzept zur Bewältigung der Nachwuchsthematik für die Hamburger Justiz entwickelt werden, woran kontinuierlich gearbeitet werde und eine Reihe von Schritten sei eingeleitet worden. So starte an den Hamburger Amtsgerichten die Initiative „#aufbruch“, zu der u.a. die „Einrichtung eines mobilen Teams erfahrener Geschäftsstellenmitarbeiter:innen“ zähle, welches besonders belastete Bereiche unterstützen werde. Der Unmut der Anwaltschaft sei „gleichwohl nachvollziehbar“; die Anwaltschaft stünde in der Pflicht, ihre Mandantinnen und Mandanten bestmöglich zu vertreten und die jeweiligen Gerichtsverfahren möglichst zügig abzuschließen. Dazu gehöre auch, der Mandantschaft den Ablauf und die Zeitdauer der Verfahren zu erläutern und zu erklären, warum es ggf. zu einer Verzögerung komme, weshalb die Senatorin dafür danke, dass die Hamburger Anwaltschaft den Rechtssuchenden auch insoweit unterstützend und beratend zur Seite stehe.
3. Überwachung von Anwälten
Einigermaßen gute Nachrichten kommen aus dem Europaparlament, das am 15. Juni mit großer Mehrheit eine Empfehlung an den Rat und die Kommission zum Einsatz von Pegasus und ähnlicher Überwachungs- und Spähsoftware beschlossen hat (P9_TA(2023)0244). Darin fordert das Parlament einheitliche EU-Normen, die den Einsatz von Spähsoftware regeln, die sich auf die vom EuGH, vom EGMR, von der Venedig-Kommission und der Agentur für Grundrechte festgelegten Standards stützen. Für diese Normen fordert das Europaparlament enge Regeln über den Einsatz von Spähsoftware. So dürften etwa dem Anwaltsgeheimnis unterliegende Daten nicht mithilfe von Spähsoftware abgefragt werden, es sei denn, es lägen hinreichende, unter richterlicher Aufsicht festgestellte Gründe vor, die eine Verwicklung in kriminelle Aktivitäten oder Angelegenheiten der nationalen Sicherheit bestätigen, für die ein gemeinsamer Rahmen gelten solle. Den Empfehlungen liegt der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zum Einsatz von Pegasus und ähnlicher Überwachungs- und Spähsoftware zugrunde. Mit Pegasus-Software sind auch Anwältinnen und Anwälte überwacht worden, darunter etwa der Präsident der ungarischen Rechtsanwaltskammer sowie ein Vertreter des ehemaligen katalanischen Ministerpräsidenten Puigdemont. Der Ausschuss, dessen Arbeit sowohl von nationalen Regierungen und Parlamenten der Mitgliedsstaaten und auch eigenen Mitgliedern nachhaltig torpediert wurde, hat insbesondere Ungarn, Polen, Griechenland, Zypern und Spanien in den Fokus genommen; für diese Länder hat das Europaparlament aus guten Gründen besondere Empfehlungen ausgesprochen. Sie erweisen sich für die betroffenen Staaten als miserables Zeugnis und verdeutlichen erneut, wie sehr Grundsätze von Demokratie und Rechtsstaat auch in Europäischen Staaten bedroht sind. Die Lektüre der Empfehlungen lohnt sich; es bleibt zu hoffen, dass Rat und Kommission sie ernst nehmen.
4. Israel
Sie alle haben der Presse entnommen, welchen Bedrohungen der Rechtsstaat in Israel durch die „Justizreform“ der gegenwärtigen israelischen Regierung ausgesetzt ist. Entscheidungen des dortigen Supreme Court sollen mit einfacher Mehrheit des Parlaments außer Kraft gesetzt werden können; die anwaltliche Selbstverwaltung soll gleich mit abgeschafft werden. Die BRAK hat dies massiv kritisiert und den Bundesjustizminister zur Intervention aufgefordert. Unser Hamburger Kammervorstand, der seit 2016 ein Freundschaftsabkommen mit der Rechtsanwaltskammer Jerusalem unterhält, wird im November nach Israel reisen und unseren dortigen Kollegen, die gegen die gegenwärtigen Angriffe auf den Rechtsstaat kämpfen, den Rücken stärken!
Ihr
Dr. Christian Lemke
Präsident