Sommerpause? Von wegen!
Sommerpause? Von wegen!
1. BRAO-Novelle und LegalTech-Gesetz Auf den letzten Metern vor der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs hat der Bundestag in einer nächtlichen Sitzung vom 10./11. Juni dieses Jahres gleich drei die Anwaltschaft betreffende Gesetze beschlossen: das „Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe“, das „Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften“ und das „Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“.
Vor allem die große BRAO-Novelle und das sog. LegalTech-Gesetz haben es in sich:
a) Mit der großen BRAO-Novelle erhält die Anwaltschaft nun die lange geforderte gesellschaftsrechtliche Organisationsfreiheit; als zulässige Rechtsformen stehen mit Inkrafttreten des Gesetzes zum 01. August 2022 alle Gesellschaftsformen nach deutschem Recht, nach dem Recht anderer Mitgliedsstaaten von EU und EWR sowie Europäische Gesellschaften zur Verfügung. Die Berufsausübungsgesellschaft bedarf der Zulassung durch die Kammer, sofern es sich nicht um eine Gesellschaft ohne Beschränkung der Haftung natürlicher Personen handelt und der Kreis der Gesellschafter und Organe auf Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, vereidigte Buchprüfer und Patentanwälte beschränkt ist. Zugelassen werden können überdies Berufsausübungsgesellschaften aus allen WTO-Drittstaaten. Anknüpfungspunkt berufsrechtlicher Regelungen wird nicht mehr nur der einzelne Berufsträger, sondern auch die jeweilige Berufsausübungsgesellschaft sein, die endlich auch ein „Kanzlei-beA“ erhält und für Zweigstellen zusätzliche beA-Kanzleipostfächer beantragen kann. Sozietätsfähig werden künftig alle Angehörigen der freien Berufe im Sinne des § 1 Abs. 2 PartGG sein, sofern nicht deren Verbindung mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängigem Organ der Rechtspflege, nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann.Wie bereits im Editorial des Kammerreports 5/20 erläutert, werden insbesondere mit der Verwaltung der Berufsausübungsgesellschaften eine Fülle neuer Aufgaben auf die Kammer zukommen. Hierdurch nötig werdende Satzungsänderungen werden wir auf der diesjährigen, im November nachzuholenden, Kammerversammlung behandeln. Kammervorstand und -geschäftsführung haben sich über die „Sommerpause“ eingehend den erforderlichen Anpassungen gewidmet und beabsichtigen, durch Schaffung von Gebührentatbeständen für neu zuzulassende Berufsausübungsgesellschaften (abhängig von deren Größe sowie in- oder ausländischer Rechtsform) zu verhindern, dass aufgrund der gesetzlichen Neuregelungen eintretende Mehrbelastungen des Kammerhaushaltes durch erhöhte Personalaufwendungen über den allgemeinen Mitgliedsbeitrag finanziert werden müssen. Einzelheiten hierzu folgen selbstverständlich bereits in der Ankündigung der Kammerversammlung.
Neuerungen gibt es auch für Syndikusanwältinnen und -anwälte: Soweit deren Arbeitgeber zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen berechtigt ist, dürfen solche durch die Syndikusanwältin bzw. den Syndikusanwalt erbracht werden, d.h. diese dürfen künftig nicht nur den Arbeitgeber, sondern – eine entsprechende Befugnis des Arbeitgebers vorausgesetzt – auch dessen Kunden rechtlich beraten. Sie müssen allerdings darauf hinweisen, dass sie keine anwaltliche Beratung erbringen und ihnen kein Zeugnisverweigerungsrecht zukommt; die Erbringung entsprechender Rechtsdienstleistungen ist keine anwaltliche Tätigkeit (§ 46 Abs. 6 BRAO n.F.). Entsprechende Drittberatungstätigkeiten stehen einer Zulassung damit nicht mehr entgegen. Verfassungsrechtlich zu beanstanden war die bisherige Beschränkung auf die Befugnis nur zur Beratung des Arbeitgebers indes nicht, wie das Bundesverfassungsgericht noch kurz vor Verabschiedung der Neuregelung entschied (BVerfG, Beschl. v. 27.04.2021, Az. 1 BvR 2649/20).
Nach erheblicher Kritik aus der Anwaltschaft erfreulicherweise nicht Gesetz geworden ist das zunächst vorgesehene Tätigkeitsverbot für den Fall, dass die Rechtsanwältin bzw. der Rechtsanwalt in Ausübung des Berufs „eine für die Rechtssache bedeutsame vertrauliche Information“ einer anderen Partei erlangt hat. Das Verbot sollte Fälle erfassen, in denen bei der anwaltlichen Tätigkeit in einem ersten Mandat sensibles Wissen über eine Mandantin oder einen Mandanten erlangt wurde, das für ein zweites Mandat mit der anderen Partei bedeutsam ist. Die Politik hat erkannt, dass ein derartiges Tätigkeitsverbot weder praktikabel ist, noch hierfür ein Bedürfnis besteht.
b) Mit dem LegalTech-Gesetz verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, zwischen den LegalTech-Unternehmen, die ihre Rechtsdienstleistungsbefugnis auf eine Zulassung als Inkassodienstleister stützen, und der Rechtsanwaltschaft ein „Level Playing Field“ zu schaffen und Kohärenz herzustellen. Das Gesetz ermöglicht es der Anwaltschaft mit Neufassungen von § 49b Abs. 2 BRAO und § 4a RVG in deutlich weiterem Maße als bislang, Erfolgshonorare zu vereinbaren, so nämlich, wenn sich der Auftrag auf eine Geldforderung von höchstens 2.000 Euro bezieht, eine Inkassodienstleistung außergerichtlich oder in einem Mahn- oder Zwangsvollstreckungsverfahren erbracht wird (in beiden Fällen darf es nicht um unpfändbare Forderungen gehen) oder der Auftraggeber bei verständiger Betrachtung sonst von der Rechtsverfolgung abgehalten würde. Vorgesehen war es zunächst auch, der Anwaltschaft bei Geldforderungen bis zu 2.000 Euro und bei Inkassodienstleistungen die Übernahme von Verfahrenskosten – also die Prozessfinanzierung – zu ermöglichen. Den Rechtsausschuss des Bundestages überzeugte dann wohl doch die Kritik daran, den Rechtsanwalt zum Finanzinvestor des Mandanten zu machen. Die „Prozessfinanzierung“ durch Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen gestatten die Neufassungen der §§ 49 b Abs. 2 S. 2 BRAO, 4a Nr. 2 RVG daher nur noch in jenen Fällen, in denen eine Inkassodienstleistung außergerichtlich oder in einem Mahn- oder Zwangsvollstreckungsverfahren erbracht wird, also in Fällen, in denen die Verfahrenskosten dem Gesetzgeber überschaubar erschienen.
Weiter sieht das LegalTech-Gesetz neben umfassenden Informationspflichten für Inkassodienstleister und Anforderungen an deren Vergütungsvereinbarungen (§§ 13b und 13c RDG n.F.) einen erhöhten Prüfungsumfang im Registrierungsverfahren und bei Tätigkeitsänderungen vor (§ 13 Abs. 2 RDG n.F.). Die intensivere verwaltungsrechtliche Prüfung soll zu mehr Rechtssicherheit führen, das Vertrauen in den Bestand der Inkassoerlaubnis sowie die Zulässigkeit der Inkassotätigkeit stärken und verhindern, dass die Forderungsabtretung an den Inkassodienstleister im zivilrechtlichen Verfahren insbesondere nach Verjährungseintritt wegen Verstoßes gegen § 3 RDG als unwirksam nach § 134 BGB beurteilt wird.
Die vorgesehenen Änderungen werden zusammen mit jenen, die bereits das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22.12.2020 beinhaltet (BGBl. 2020 I, 3320), schon zum 1. Oktober dieses Jahres in Kraft treten.
2. BGH und „Sammelklage-Inkasso“
Inkassodienstleister gestärkt hat erneut auch der Bundesgerichtshof mit seiner „Sammelklage-Inkasso“-Entscheidung vom 13. Juli dieses Jahres (Az. II ZR 84/20). Entgegen einer Reihe instanzgerichtlicher Entscheidungen entschied der BGH, dass der Inkassobegriff der § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG auch Geschäftsmodelle umfasst, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Forderungseinziehung abzielen. Dies gelte auch im Fall des sog. „Sammelklage-Inkasso“, bei dem sich das Inkassodienstleistungsunternehmen eine Reihe von Forderungen abtreten lässt, die sich gegen denselben Schuldner richten und im Wesentlichen gleichgelagerten Lebenssachverhalten entspringen.
Fraglich erscheint, ob diese Entscheidung auch für den Fall gilt, dass ein Prozessfinanzierer eingebunden wird. Zwar stellt das „LegalTech-Gesetz“ mit einer Ergänzung zu § 4 RDG n.F. fest, dass eine die Rechtsdienstleistung unzulässig machende Gefährdung der ordnungsgemäßen Erbringung dieser Rechtsdienstleistung aufgrund einer anderen Leistungspflicht nicht schon deshalb anzunehmen ist, weil aufgrund eines Vertrags mit einem Prozessfinanzierer dem Prozessfinanzierer gegenüber Berichtspflichten bestehen. Das schließt gleichwohl nicht aus, dass die finanziellen Interessen des Prozessfinanzierers den Interessen der Zedenten zuwiderlaufen. Zutreffend erkannt hat dies jedenfalls der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI), der am 17. Juni dieses Jahres einen lesenswerten Berichtsentwurf zu Empfehlungen an die Europäische Kommission zur verantwortungsvollen privaten Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten veröffentlicht hat (2020/2130(INL)). Die Empfehlungen umfassen die Einrichtung eines Genehmigungssystems für Prozessfinanzierer, das die Einführung von Unternehmensanforderungen und Kontrollbefugnissen zum Schutz der Antragsteller ermöglicht und mit dem sichergestellt wäre, dass Finanzierungen nur von Organisationen getätigt werden, die sich auf die Einhaltung von Mindeststandards in den Bereichen Transparenz, Unternehmensführung und Eigenmittel verpflichtet haben und ein Treuhandverhältnis mit den Antragstellern und den vorgesehenen Begünstigten pflegen. Der in den Empfehlungen vorgesehene Verordnungsentwurf sieht dabei unter anderem die Unwirksamkeit von Prozessfinanzierungsvereinbarungen vor, die dazu führen, dass der den Antragsstellern und vorgesehenen Begünstigten verbleibende Anteil an einer Gesamtentschädigung auf 60 % oder weniger verwässert wird. Derlei Begrenzungen von Erfolgsbeteiligungen an den Forderungen der Anspruchsinhaber mochte der deutsche Gesetzgeber bislang nicht ins Auge fassen. Hätte er den Verbraucherschutz mit dem „Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“ allerdings ernst gemeint, wäre eine derartige Begrenzung sicher angezeigt gewesen. Der Bundesrat hatte im Gesetzgebungsverfahren eine entsprechende Deckelung auf 25 % der Forderung noch angeregt; die Bundesregierung allerdings hielt eine solche für nicht „sinnvoll“ und erweiterte Informationspflichten über die Vergütungshöhe für genügend.
Ihr
Dr. Christian Lemke
Präsident