HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 1/2023 vom 2. Februar 2023

Hmb AnwaltsG: Keine Berufspflicht gegenüber Rechtsschutzversicherung der Mandantschaft

Die berufsrechtliche Pflicht zur Weiterleitung von Fremdgeld (§ 43a Abs. 7 BRAO, § 4 Abs. 1 BORA) besteht nach einem Urteil des Hamburgischen Anwaltsgerichts nur gegenüber der eigenen Mandantschaft, nicht aber gegenüber deren Rechtsschutzversicherung.

Dem zu entscheidenden Fall lagen zwei Sachverhalte zugrunde:

In einem Fall erhielt der Rechtsanwalt von der Rechtsschutzversicherung seiner Mandantin eine Zahlung von 5.227,73 €. Der Rechtsanwalt teilte der Rechtsschutzversicherung mit, dass das Verfahren mit einem Vergleich endete. Die erhaltene Gerichtskostenerstattung von 484 € kehrte er jedoch nicht an die Rechtsschutzversicherung aus, sondern verrechnete diese mit seinem Honoraranspruch. Eine Kopie der entsprechenden Abrechnung gegenüber der Mandantin übersandte der Rechtsanwalt der Rechtsschutzversicherung. Die Rechtsschutzversicherung klagte auf Zahlung der 484 €. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, wonach der Rechtsanwalt 330 € an die Rechtsschutzversicherung zahlen musste.

In einem anderen Fall erhielt der Rechtsanwalt von der Rechtsschutzversicherung seines Mandanten einen Vorschuss von 1.116,16 €. Nach Abschluss des Verfahrens zahlte die Gegenseite 808,13 € an den Rechtsanwalt zum Ausgleich seiner Gebühren. Der Rechtsanwalt leitete diesen Betrag nicht an die Rechtsschutzversicherung weiter, sondern verrechnete ihn gegenüber dem Mandanten mit seinem Honorar. Die Rechtsschutzversicherung erhielt eine Kopie dieser Abrechnung. Die Rechtsschutzversicherung klagte auf Zahlung der 808,13 €. Das Verfahren endete mit einem Versäumnisurteil, der Rechtsanwalt zahlte später an die Rechtsschutzversicherung.

Nach den Feststellungen des Hamburgischen Anwaltsgerichts sei der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung zur Abrechnung nachgekommen. Die Abrechnung schulde er seinem jeweiligen Mandanten. Eine Kopie der Abrechnung habe er der jeweiligen Rechtsschutzversicherung zur Verfügung gestellt. Damit habe er seine Abrechnungspflichten am Schluss des jeweiligen Mandats ordnungsgemäß erfüllt. Ob ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Weiterleitung des Fremdgeldes vorliegt oder der Rechtsanwalt zur Aufrechnung mit Honoraransprüchen berechtigt war, könne dahinstehen, denn die Einhaltung der entsprechenden Berufspflichten schulde der Rechtsanwalt nicht gegenüber der Rechtsschutzversicherung seines Mandanten. Sie gehöre nicht zum Kreis derer, um deren Schutz es bei der Behandlung von Fremdgeld gemäß § 43 a Abs. 7 BRAO und § 4 Abs. 2 Satz 1 BORA gehe (vgl. BGH vom 23.07.2019, VI ZR 307/18 Rz. 14 ff.). Anders als zu seinem Mandanten habe der Rechtsanwalt mit der Rechtsschutzversicherung kein Vertragsverhältnis. Das Mandatsverhältnis sei es jedoch, welches der Erwartung in die uneingeschränkte Integrität des Rechtsanwalts und seiner Stellung als Organ der Rechtspflege zugrunde läge. Dadurch sei es gerechtfertigt, dass ein Verstoß des Rechtsanwalts gegen seine Pflichten, Fremdgelder unverzüglich abzurechnen und weiterzuleiten, nicht nur zivilrechtliche Schadenersatzansprüche oder strafrechtliche Sanktionen zur Folge habe, sondern auch berufsrechtlich geahndet werden könne. Auch sei die Rechtsschutzversicherung nicht Teil des Justizwesens, dessen Schutz- und Funktionsfähigkeit die Pflichten des Rechtsanwalts gemäß BRAO und BORA zu dienen bestimmt seien.

Auch in sachlicher Hinsicht sei ein Schutz der Rechtsschutzversicherung nicht geboten. Fremdgelder seien nur im Verhältnis zum Mandanten des Rechtsanwalts anvertraut, nicht im Verhältnis zu Dritten. Im Verhältnis zwischen Rechtsschutzversicherung des Mandanten und dessen Rechtsanwalt genügten vielmehr die zivilrechtlichen Regelungen, die sich aus §§ 675, 667 BGB i.V.m. § 86 Abs. 1 VVG oder aus den Vorschriften zur Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung ergeben. Folglich würde selbst ein Verstoß des Rechtsanwalts gegen zivilrechtlich begründete Pflichten gegenüber der Rechtsschutzversicherung keine berufsrechtliche Sanktion nach sich ziehen können.

Hamburgisches Anwaltsgericht, Urteil vom 17.11.2022 – III 3/21 EV 125/20

Ergänzender Hinweis vom 12.2.2024: Gegen dieses Urteil wurde Berufung vor dem Anwaltsgerichtshof eingelegt. Der Anwaltsgerichtshof stellte in seinem Urteil vom 8.11.2023 Folgendes klar: Entgegen den Ausführungen des Hamburgischen Anwaltsgerichts enthalten die §§ 43a Abs. 7 BRAO (§ 43a Abs. 5 BRAO a.F.), 4 BORA keine Einschränkung auf Verstöße im Verhältnis zum Mandanten bzw. in Bezug auf Fremdgeld, welches dem Mandanten zusteht. Demnach sind fremde Gelder unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten. Dazu gehören auch Fremdgelder der Versicherung, die an diese weiterzuleiten sind. Vermögenswerte sind Rechtsanwälten dann  „anvertraut“, wenn sie im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit erlangt werden. Von Dritten stammende Vermögenswerte sind dem Rechtsanwalt vom Mandanten anvertraut, weil der Mandant ihn ermächtigt hat, diese entgegenzunehmen.

Das Urteil des Anwaltsgerichtshofes ist noch nicht rechtskräftig. Wir werden zu diesem Urteil des Anwaltsgerichtshofes voraussichtlich im Kammerreport Nr. 3/2024 berichten, der im Mai/Juni 2024 erscheinen wird.