BGH: Organisationsverschulden bei unterbliebener Fristenkorrektur
1. Überträgt ein Rechtsanwalt die Notierung von Fristen einer Kanzleikraft, muss er durch geeignete organisatorische Maßnahmen oder durch konkrete Einzelanweisung sicherstellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Bei notwendiger Korrektur einer Rechtsmittelbegründungsfrist muss eine mündliche Einzelanweisung klar und präzise beinhalten, dass die Frist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender zu korrigieren ist.
2. Ein Rechtsanwalt muss allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt.
(Amtliche Leitsätze)
Der Anwalt der Beklagten legte gegen ein Urteil fristgerecht Berufung ein und beantragte die Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 4.8.2022. Entsprechend der allgemeinen Praxis in der Kanzlei notierte die Kanzleimitarbeiterin des Anwaltes den 4.8.2022 als neue Vor- und Ablauffrist. Mit Verfügung vom 6.7.2022 verlängerte das Oberlandesgericht die Begründungsfrist unter Ablehnung des weitergehenden Antrags aber nur bis einschließlich 2.8.2022. Sodann wies der Anwalt die Kanzleimitarbeiterin an, die bereits bezogen auf den 4.8.2022 eingetragenen Vor- und Ablauffristen auf den 2.8.2022 zu korrigieren. Aufgrund einer Corona-Erkrankung war der Anwalt vom 25.7. bis zum 2.8.2022 dann nicht im Büro. Nach seiner Rückkehr ist ihm die Akte zu der nach wie vor auf den 4.8.2022 notierten Ablauffrist vorgelegt worden, weil die Kanzleimitarbeiterin die Fristen entgegen seiner Anweisung nicht vom 4. auf den 2.8.2022 korrigierte. Der Anwalt bemerkte dies nicht und begründete mit am 4.8.2022 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz die Berufung. Nach Hinweis des Gerichts auf den verspäteten Eingang der Berufungsbegründung beantragte der Anwalt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, was aber ohne Erfolg blieb. Auch die Rechtsbeschwerde vor dem BGH hatte keinen Erfolg.
Der BGH wies darauf hin, dass die Sorgfaltspflicht von einem Rechtsanwalt mit Blick auf das Fristenwesen alles ihm Zumutbare verlange, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Die Berechnung und Notierung von Fristen könne zwar einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Der Rechtsanwalt habe jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den für eine Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehöre insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in alle geführten Fristenkalender eingetragen worden sind. Die Einhaltung einer Rechtsmittelbegründungsfrist sei nicht nur durch die Eintragung der Hauptfrist, sondern zusätzlich durch eine ausreichende Vorfrist sicherzustellen. Für den Fall eines Fristverlängerungsantrags bestünden zudem weitere Anforderungen an das Fristenwesen. In diesen Fällen müsse als zusätzliche Fristensicherung auch das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenbuch eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig – spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung – überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt und notiert werden kann.
Schließlich hätte der Anwalt auch allgemeine Vorkehrungen dafür treffen müssen, dass im Falle seiner Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen vornimmt. Wäre die Akte einem Vertreter zur Vorfrist, die hier spätestens eine Woche vor Ablauf der notierten Begründungsfrist am 4.8.2022, mithin spätestens am 28.7.2022 ablief, vorgelegt worden, hätte diesem auffallen müssen, dass der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist noch auf den 4.8.2022 notiert und nicht entsprechend der gerichtlichen Bewilligung auf den 2.8.2022 korrigiert worden war.
BGH, Beschluss vom 18.10.2023, XII ZB 31/23