BGH: Kein Vertrauensschutz bei unbegründetem Fristverlängerungsantrag
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte können darauf vertrauen, dass in einem Berufungsverfahren dem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, wenn er auf „erhebliche Gründe“ im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird. Voraussetzung ist allerdings, dass diese erheblichen Gründe auch vorgetragen werden.
An einem solchen Vortrag fehlte es in dem vom BGH zu entscheidenden Fall. Die Fristverlängerung wurde ohne Begründung beantragt. Das Gericht ordnete noch am selben Tag an, dem Kläger im Hinblick auf § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO Gelegenheit zu geben, den Fristverlängerungsantrag zu begründen. Versehentlich wurde dem Anwalt jedoch nur das Begleitschreiben, nicht aber die Verfügung des Gerichts über das beA zugestellt. Im Begleitschreiben heißt es lediglich: „(…) anliegende Dokumente werden Ihnen elektronisch übermittelt." Eine Reaktion des Anwalts erfolgte nicht. Der Anwalt erkundigte sich auch nicht bei Gericht, ob seinem Fristverlängerungsantrag stattgegeben wurde. Erst als das Gericht den Fristverlängerungsantrag ablehnte, reagierte der Anwalt und begründete die Notwendigkeit der Fristverlängerung mit einer Arbeitsüberlastung aufgrund einer Corona-Erkrankung. Gleichzeitig beantragte er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er begründete dies damit, dass er die Mitteilung des Gerichts nicht erhalten habe und ihm in einem Verfahren vor einem anderen Senat desselben Berufungsgerichts mit einem gleichlautenden Antrag die Berufungsbegründungsfrist verlängert worden sei. Er habe daher darauf vertrauen dürfen, dass auch im Streitfall die Frist antragsgemäß verlängert oder ihm anderenfalls ein entsprechender Hinweis erteilt werde.
Dies überzeugte den BGH nicht. Zwar müsse ein Anwalt grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfe er jedoch im Allgemeinen darauf vertrauen, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn dieser auf erhebliche Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird. Das setze allerdings die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung voraus, auch wenn an diese bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden dürften und beispielsweise der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung des Anwaltes ausreicht, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf. Entspricht der Fristverlängerungsantrag diesen Anforderungen und darf der Anwalt deshalb mit der erstmaligen Verlängerung der Begründungsfrist mit großer Wahrscheinlichkeit rechnen, sei er nicht gehalten, sich vor Ablauf der ursprünglichen Frist durch Nachfrage beim Berufungsgericht zu vergewissern, ob dem Fristverlängerungsgesuch stattgegeben wurde.
Dagegen könne der Anwalt nicht damit rechnen, dass seinem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, wenn in diesem kein erheblicher Grund für die Gewährung einer Fristverlängerung dargelegt wird, sondern der Antrag jeglicher Begründung zur Notwendigkeit einer Fristverlängerung entbehrt. In einem solchen Fall müsse der Anwalt damit rechnen, dass der Senatsvorsitzende in einer nicht mit erheblichen Gesichtspunkten begründeten Verlängerung der Frist eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen wird. Die ihm nach diesen Maßgaben im Zusammenhang mit der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist obliegenden Sorgfaltspflichten habe der Anwalt im vorliegenden Fall nicht eingehalten. Er habe nicht darauf vertrauen können, dass es sich bei den im Begleitschreiben in Bezug genommenen Dokumente um die Bewilligung der Fristverlängerung handeln würde. Auch konnte er nicht auf eine ihm günstige gerichtliche Übung vertrauen. Der Anwalt habe schon nicht behauptet, dass gerade der zuständige Senat einem solchen ersten Antrag ohne Begründung üblicherweise stattgebe. Selbst wenn auch die Praxis anderer Senate berücksichtigt werden würde, genüge der Hinweis auf einen anderen Fall nicht, um eine gerichtliche Übung darzulegen, die einen Vertrauensschutz begründet.
BGH, Beschluss vom 14.11.2023 – XI ZB 10/23