HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 4/2022 vom 1. September 2022

BGH: Rationalisierungseffekte bei Geschäftsgebühr zu berücksichtigen

Nach Auffassung des BGH sind bei der Bemessung der Geschäftsgebühr auch Rationalisierungseffekte in Massenverfahren zu berücksichtigen.

In der Sache selbst ging es um ein Verfahren im VW-Dieselskandal, mit dem der Kläger auch die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 2,0 Geschäftsgebühr verlangte.

Die Vorinstanzen hielten nur eine 1,3-Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG für angemessen. Zur Begründung wurde angeführt, dass bei der Bearbeitung mehrerer gleichartiger Mandate – vorliegend soll es um die Interessenvertretung „von mehr als 800 Geschädigte(n) im VW-Skandal“ gegangen sein – sogenannte Rationalisierungseffekte zu berücksichtigen seien. In tatsächlicher Hinsicht mag die vorgerichtliche Tätigkeit der klägerischen Bevollmächtigten zwar Kenntnisse der technischen Grundfunktionen eines Dieselmotors vorauszusetzen, welche den Alltag des durchschnittlichen Rechtsanwaltes nicht betreffen und damit eine erhebliche Einarbeitungszeit erfordern. Die tatsächliche Einarbeitungszeit sei aber auf diese Vielzahl von Fällen umzurechnen und zu beschränken. Gleiches gelte für die rechtliche Einarbeitung in die Besonderheiten der Fälle zum sogenannten Dieselskandal. Diese mögen zeitlichen Aufwand in Anspruch genommen haben, umgerechnet auf den einzelnen Fall falle der erforderliche Aufwand aber nicht entscheidend ins Gewicht. Vielmehr führe dies regelmäßig zu mehr oder weniger standardisierten Schriftsätzen unter Verwendung umfangreicher Textbausteine. Zudem beträfen die Rechtsprobleme im Wesentlichen das Kauf- und Deliktsrecht, das bekanntermaßen zu den Grundlagengebieten zähle.

Der BGH schloss sich dieser Auffassung der Vorinstanzen an. Der gesetzliche Gebührentatbestand in Nr. 2300 VV RVG bestimme, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden könne, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Ob dies der Fall ist, sei gemäß § 14 Abs. 1 RVG anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Die Revision zeige keine Gesichtspunkte auf, die die Bewertung des Berufungsgerichts zum Nachteil des Klägers als rechtsfehlerhaft erscheinen lassen könnten. Insbesondere sei die Erwägung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, die tatsächlich erhebliche Einarbeitungszeit in die technischen und rechtlichen Fragen einer Haftung der Beklagten sei auf die Vielzahl der von den Instanzbevollmächtigten des Klägers betreuten Verfahren mit vergleichbaren Fragestellungen umzulegen, so dass die Bearbeitung des konkreten Streitfalles keine überdurchschnittlichen Schwierigkeiten mehr aufweise.


BGH, Urteil vom 10.5.2022 – VI ZR 156/20
(vorgehend LG Stuttgart, Urteil vom 24.8.2018 – 16 O 390/17, und OLG Stuttgart, Endurteil vom 20.12.2019 – 5 U 202/18)