HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 5/2022 vom 1. Dezember 2022

BSG: Sozialversicherungspflicht für Gesellschafter-Geschäftsführer einer Rechtsanwaltsgesellschaft

Auch als unabhängiges Organ der Rechtspflege kann ein Rechtsanwalt abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungspflichtig sein. Dies hat das Bundessozialgericht in Bezug auf Ge­sell­schaf­ter-Ge­schäfts­füh­rer einer Rechts­an­walts­ge­sell­schaft entschieden.

Die fünf klagenden Rechtsanwälte waren Geschäftsführer einer Rechtsanwaltsgesellschaft. Jeder hielt an der Gesellschaft einen Anteil von 20%; nach Ausscheiden eines Gesellschafters erhöhten sich die übrigen Anteile auf 25%. Gegenstand der Gesellschaft ist die Übernahme und die Ausführung von Anwaltsaufträgen, insbesondere die Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten und alle damit im Zusammenhang stehenden Geschäfte, die durch in Diensten der Gesellschaft stehende, zugelassene Rechtsanwälte unabhängig, weisungsfrei und eigenverantwortlich unter Beachtung ihres Berufsrechts ausgeführt werden. 

Die Rechtsanwälte stellten bei der Deutschen Rentenversicherung Bund jeweils Statusfeststellungsanträge. Die Rentenversicherung stellte daraufhin per Bescheid fest, dass die Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe.

Die Widersprüche gegen diese Bescheide blieben ebenso erfolglos wie Klage, Berufung und Revision. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts sei ein Gesellschafter-Geschäftsführer nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern müsse, um nicht als abhängig beschäftigt angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht sei bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50% der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt, sei grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er könne ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen sein, wenn ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende („echte“ oder „qualifizierte“), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Dies sei bei den Klägern aber nicht der Fall gewesen. Die Kläger hätten nicht die notwendige gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht, um die Geschicke der GmbH maßgeblich zu gestalten oder ihnen nicht genehme Weisungen zu verhindern. Sie seien damit in einen fremden Betrieb eingegliedert und führten kein eigenes Unternehmen. Diese Annahme werde auch durch die Ausgestaltung der jeweiligen Geschäftsführerverträge bestätigt, die typische Regelungen für eine abhängige Beschäftigung enthielten (z.B. Festvergütung, Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall).

Auch die „freiberufliche“ Tätigkeit als Rechtsanwalt ändere nichts an dieser Einschätzung. Das anwaltliche Berufsrecht gehe zwar grundsätzlich vom Leitbild der selbstständigen Tätigkeit aus, lasse aber auch den Status als Arbeitnehmer zu (vgl. § 46 Abs. 1 BRAO). Im Übrigen würden das anwaltliche Berufsrecht und das Sozialversicherungsrecht unterschiedliche Zwecke verfolgen. Deshalb sei die im Berufsrecht verankerte Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und die fachliche Unabhängigkeit als prägendes Element auch im Fall einer Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt (§ 46 Abs. 3 und 4 BRAO) als solche keine Merkmale, denen ausschlaggebende Bedeutung für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung zukomme.

BSG, Urteil vom 28.6.2022 – B 12 R 4/20 R