HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 5/2021 vom 25. November 2021

BGH: Anwaltliche Hinweispflicht bei Fortführung aussichtsloser Prozesse

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte müssen ihre Mandantschaft darauf hinweisen, wenn sich in einem laufenden Gerichtsverfahren die Erfolgsaussichten aufgrund einer geänderten BGH-Rechtsprechung verschlechtert. Dies könne auch dann gelten, wenn eine Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung vorlag.

1. In dem Ausgangsfall vertrat die Anwaltskanzlei geschädigte Anleger eines Immobilienfonds. Zur Hemmung der Verjährung legte die Anwaltskanzlei nach einem Muster einen Güteantrag bei einer staatlich anerkannten Gütestelle ein. Nach Scheitern des Güteverfahrens wurde Klage eingereicht. Das Landgericht wies die Klage wegen Verjährung ab. Für die hiergegen eingelegte Berufung wurde seitens der Rechtsschutzversicherung Deckungszusage erteilt. Sechs Tage nach Einlegung der Berufung verkündete der BGH in einem Parallelverfahren ein Urteil, dass sich mit den verjährungshemmenden Anforderungen eines Güteantrages befasste. Danach war klar, dass der von der Anwaltskanzlei eingelegte Güteantrag diesen Anforderungen nicht gerecht wird. Daraufhin, wies das Berufungsgericht in einem Beschluss darauf hin, dass die Berufung offensichtlich unbegründet sei. Gleichwohl riet die Anwaltskanzlei der Mandantschaft nicht zur Rücknahme der Berufung. Später wurde sowohl die Berufung als auch die Nichtzulassungsbeschwerde - für die ebenfalls Deckungszusage erteilt wurde – zurückgewiesen.

2. Nach Auffassung des BGH sei die Rechtsanwältin / der Rechtsanwalt grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Beratung und Aufklärung der Mandantschaft verpflichtet, soweit diese nicht eindeutig zu erkennen geben, dass sie des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedürfen.

Diese Aufklärungspflicht ende nicht mit der Einleitung des in Aussicht genommenen Rechtsstreits. Verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, müsse die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt die Mandantschaft über eine damit verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären. Nur so erhalte die Mandantschaft die Möglichkeit, die ursprünglich getroffene Entscheidung zu hinterfragen und die Chancen und Risiken der laufenden Rechtsverfolgung auf der Grundlage der veränderten Lage neu zu bewerten. Auch hier könne die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt nach den gegebenen Umständen gehalten sein, von einer Fortführung der Rechtsverfolgung abzuraten.

Für den Inhalt dieser Pflicht sei es ohne Bedeutung, ob die Mandantschaft eine Rechtsschutzversicherung unterhält oder nicht. Die Pflicht der Rechtsanwältin und des Rechtsanwalts zur Beratung über die Erfolgsaussichten eines in Aussicht genommenen Rechtsstreits gelte gleichermaßen sowohl gegenüber einer nicht rechtsschutzversicherten Mandantschaft als auch gegenüber einer Mandantschaft mit Rechtsschutzversicherung.

BGH, Urteil vom 16.9.2021 – IX ZR 165/19