Kammervorstände als Prüfer anwaltlicher Konten?
In einem unverdächtig klingenden „Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Regelung hybrider und virtueller Versammlungen der Anwalts- und Notarkammern und zur Änderung weiterer Vorschriften“ vom 6.10.2023 soll nach einem Entwurf für einen Änderungsantrag der Regierungsfraktionen vom 31.01.2024 noch ein neuer § 73a BRAO untergebracht werden. Der hat es in sich. Vorgesehen ist danach die Einführung einer regelmäßigen anlassunabhängigen Überprüfung von Sammelanderkonten der Kammermitglieder durch die Rechtsanwaltskammern. Zur Begründung verweist die Regierungskoalition darauf, dass in dem Peer Review-Prozess des Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes (Global Forum) der OECD festgestellt wurde, dass in Deutschland bei Sammelanderkonten der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nicht lediglich ein geringes Risiko besteht, zur Steuerhinterziehung missbraucht zu werden. Deshalb würden die Sammelanderkonten die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Meldepflicht nach dem Common Reporting Standard (CRS) – in Deutschland umgesetzt im Finanzkonten-Informationsaustauschgesetz (FKAustG) - nicht erfüllen. Auch bei den Sammelanderkonten müssten daher die gleichen Sorgfaltspflichten wie bei allen anderen Konten auch erfüllt werden, namentlich also die wirtschaftlich Berechtigten identifiziert werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei Sammelanderkonten die Prüfung der wirtschaftlich Berechtigten besonders aufwändig ist, weil es eben viele verschiedene Berechtigte sind, die auch noch laufend wechseln. Die Banken jedenfalls wollen diesen Aufwand nicht betreiben oder nur gegen Zahlung sehr hoher Gebühren. Tatsächlich haben in der Vergangenheit Banken bereits anwaltliche Sammelanderkonten gekündigt; derzeit unterbleiben entsprechende Kündigungen aufgrund eines Nichtbeanstandungserlasses des Bundesfinanzministeriums.
Diese Ausnahme wird aber nicht dauerhaft aufrechterhalten werden. Es droht somit, dass Sammelanderkonten in Zukunft von den Banken nicht mehr angeboten werden. Die von dem Entwurf vorgeschlagene Lösung sieht nun vor, dass die Rechtsanwaltskammern die Anderkonten laufend und anlasslos überwachen – damit, so die Idee, könnten die Anforderungen der OECD erfüllt werden und die Banken von einer Prüfung der einzelnen wirtschaftlich Berechtigten befreit sein.
Dieses Ansinnen, die Rechtsanwaltskammern aus Gründen der Bekämpfung der Finanzkriminalität unter weiterer Einschränkung der anwaltlichen Verschwiegenheit zu Oberaufsehern über anwaltliche Konten zu machen, ist Ausdruck eines Berufsbildes, das Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nicht als Organe der Rechtspflege (§ 1 BRAO) sieht, welche als die berufenen unabhängigen Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§ 3 Abs. 1 BRAO) den Zugang zum Recht gewährleisten. Es ist vielmehr Ausdruck des insbesondere auf EU-Ebene bestehenden Bildes des Anwalts als „professional Enabler“, des „professionellen Ermöglichers“, der sich willfährig einspannen lässt, um dem Mandanten mittels immer neuer Steuergestaltungsvarianten gemeinschädliche finanzielle Vorteile zu verschaffen, wenn er sich nicht ohnehin als Gehilfe bei der Steuerhinterziehung, Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung betätigt, weshalb man ihm seine Verschwiegenheit nehmen müsse. Zugegeben: Schlagzeilenträchtige Skandale wie die Panama und Paradise Papers haben das Berufsbild des Anwalts nicht gefördert. Allerdings unterliegen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte jedenfalls hierzulande – auch im Hinblick auf die Führung von Anderkonten, §§ 43a Abs. 7 BRAO, 4 BORA – nicht nur strengen berufsrechtlichen Regelungen. Vielmehr verhält sich der mit Abstand weitaus größte Teil der Anwaltschaft absolut beanstandungsfrei und rechtstreu und auf EU-Ebene wird die Grenze zwischen strafbarer Steuerhinterziehung und legaler Steuergestaltung verwischt.
Es muss befürchtet werden, dass den Banken das Berufsbild der Anwaltschaft gleichgültig ist. Sehen sie sich aufgrund der Common Reporting Standards gezwungen, für viele Kanzleien unentbehrliche Sammelanderkonten zu kündigen, kann dies dazu führen, dass vermehrt Fremdgeldzahlungen über anwaltliche Geschäftskonten abgewickelt werden, was – sofern Fremdgelder dort nicht verwahrt werden – berufsrechtlich durchaus zulässig ist. Erfolgen die dort eingehenden Zahlungen jedoch nicht für den Rechtsanwalt als wirtschaftlich Berechtigten, sondern für Dritte, dürften auch entsprechende Geschäftskonten gefährdet sein. Es droht, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Fremdgelder überhaupt nicht mehr abwickeln können.
Sofern eine regelmäßige Prüfung anwaltlicher Sammelanderkonten durch die anwaltliche Selbstverwaltung unvermeidlich ist, kann diese Prüfung nicht den regionalen Kammern aufgebürdet werden, die dann womöglich – höchst analog – fortlaufend ihre ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder in die Kanzleien unserer Kolleginnen und Kollegen schicken müssten, um sich dort Kontoauszüge vorzeigen und einzelne Überweisungen erläutern zu lassen, um die Angaben dann durch Einsicht in die Mandatsakten zu verifizieren. Nachzudenken wäre dann vielmehr über eine bundeseinheitliche, bei der Bundesrechtsanwaltskammer angesiedelte und digital arbeitende Stelle, wie es sie etwa in Frankreich mit der „Carpa“ bereits gibt. Allerdings: Aus meiner Sicht ist das alles überbordend, unverhältnismäßig und unnötig. Es gibt keine Veranlassung, die anwaltliche Selbstverwaltung als Kontenprüfer einzuspannen. Entsprechende Forderungen sind Ausdruck eines verqueren anwaltlichen Berufsbilds.
Im Rechtsausschuss des Bundestags gab es am 24.04.2024 eine Anhörung zum Gesetzentwurf. Einer der Sachverständigen war unser Hauptgeschäftsführer Dr. Henning Löwe. Seine sehr lesenswerte und eindringlich vor dem vorgesehenen § 73a BRAO warnende Stellungnahme finden Sie hier. Die Damen und Herren Abgeordneten selbst aus der Regierungskoalition sind sich offenbar noch unsicher, welches anwaltliche Berufsbild sie eigentlich haben.
Ihr
Dr. Christian Lemke
Präsident