Berufspolitik und Wahlen zum Kammervorstand
Berufspolitik und Wahlen zum Kammervorstand
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch wenn es schon etwa spät sein mag, so wünsche ich Ihnen gleichwohl alles erdenklich Gute zum neuen Jahr!
1.
2022 wird berufspolitisch wiederum ein spannendes Jahr. Bereits zum 1. Oktober des letzten Jahres sind mit dem Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht vom 22.12.2020 (BGBl. 2020 I 3320) und dem sog. LegalTech-Gesetz, dem Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt vom 10.08.2021 (BGBl. 2021 I 3415), umfassende Änderungen insbesondere des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes und des Rechtsdienstleistungsgesetzes in Kraft getreten. Diese verschaffen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten erweiterte Möglichkeiten der Vereinbarung von Erfolgshonoraren und sollen dazu dienen, rechtliche Unsicherheiten für die auf Grundlage einer Inkassoerlaubnis tätigen LegalTech-Unternehmen zu beseitigen. Wesentliche Fragen des Inkassobegriffs sowie zulässiger Nebenleistungen nicht-anwaltlicher Rechtsdienstleister scheinen gleichwohl unverändert klärungsbedürftig und sind Gegenstand zum Teil sehr emotional geführter rechtspolitischer Diskussionen.
Am 1. August dieses Jahres treten zudem erhebliche berufsrechtliche Änderungen in Kraft, die das Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften vom 07.07.2021 (BGBl. 2021 I 2363) mit sich bringt. Wie bereits im Editorial des Kammerreports 4/2021 geschildert, erhält die Anwaltschaft mit den Neuregelungen – endlich! – die lange geforderte gesellschaftsrechtliche Organisationsfreiheit. Die Berufsausübungsgesellschaft wird künftig als zentrale Organisationsform anerkannt, weshalb Anknüpfungspunkt der berufsrechtlichen Regulierung nicht mehr allein die einzelnen Berufsträgerinnen und -träger sein werden, sondern auch die Berufsausübungsgesellschaft selbst. Diese wird künftig – rechtsformunabhängig – selbst postulationsfähig und rechtsdienstleistungsbefugt sowie neben den Berufsträgern als natürliche Personen selbst Berufsrechtssubjekt, also Adressat berufsrechtlicher Rechte und Pflichten werden. Die Anknüpfung des Berufsrechts nicht nur an natürliche Personen, sondern auch an die Entität setzt voraus, dass diese als Kammermitglieder der anwaltlichen Berufsaufsicht unterliegen. § 59f n.F. BRAO sieht daher vor, dass Berufsausübungsgesellschaften der Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer bedürfen; sie erhalten dann auch ein eigenes Kanzlei-beA und können auch für weitere Standorte weitere elektronische Anwaltspostfächer beantragen. Wenn Sie also einer Berufsausübungsgesellschaft angehören, dann sollten Sie jetzt beginnen, sich mit den Formalien der Zulassung zu beschäftigen!Als zulässige Rechtsformen werden alle Gesellschaftsformen nach deutschem Recht, nach dem Recht anderer Mitgliedsstaaten von EU und EWR sowie Europäische Gesellschaften zur Verfügung stehen. Zu den zugelassenen Rechtsformen zählen dabei auch die Handelsgesellschaften. Eine Ausnahme von der Zulassungspflicht für Berufsausübungsgesellschaften besteht nach § 59f BRAO n.F. nur für Personengesellschaften, bei denen keine Beschränkung der Haftung der natürlichen Personen vorliegt und denen als Gesellschafter und als Mitglieder der Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgane ausschließlich Rechtsanwälte oder Angehörige eines der auch bislang sozietätsfähigen Berufe angehören, also Patentanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer. Diese Gesellschaften unterliegen keiner Zulassungspflicht. Sie können sich allerdings freiwillig zulassen lassen und erhalten auch nur dann ein Kanzlei-beA.
Zulassungsberechtigt aber auch verpflichtet sind künftig auch Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus allen Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation, also nahezu allen Staaten dieser Welt, wenn sie in Deutschland Rechtsdienstleistungen anbieten wollen. Nicht einfacher wird die Verwaltungsarbeit für die Kammer dadurch, dass sich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, die Möglichkeit der interprofessionellen Zusammenarbeit nicht auf die einem vergleichbaren Berufsrecht unterliegende Berufe zu beschränken, sondern auf alle freien Berufe im Sinne des § 1 Abs. 2 PartGG auszudehnen. Nicht sozietätsfähig sind auch weiterhin gewerbliche Berufe – Abgrenzungsprobleme sind vorprogrammiert.
Die Verwaltung auch der Berufsausübungsgesellschaften und die der Kammer künftig auch insoweit obliegende Berufsaufsicht wird erheblichen Mehraufwand und neue Aufgaben bedeuten, denen wir uns natürlich stellen. In der vergangenen Kammerversammlung am 9. November wurden dafür erforderliche Änderungen unserer Geschäfts- und Gebührenordnungen beschlossen. Im Kammervorstand haben wir durch Änderungen der Geschäftsordnung unseres Vorstands besondere Abteilungszuständigkeiten für Berufsausübungsgesellschaften geschaffen. Zudem bereiten wir uns derzeit darauf vor, unseren Mitgliedern künftig Online-Zugangsmöglichkeiten zur Verwaltung ihrer Gesellschaften bereit zu stellen. Schließlich müssen wir das von uns geführte elektronische und künftig auch Berufsausübungsgesellschaften umfassende Mitgliederverzeichnis laufend auf aktuellstem Stand halten. Und wir wollen die künftig zusätzlich anstehenden Aufgaben in unserer ohnehin bereits weitestgehend papierlos arbeitenden Geschäftsstelle so effektiv wie möglich bewältigen.
2.
Trotz aller bereits gesetzlich verabschiedeter berufsrechtlicher Neuerungen, deren Auswirkungen derzeit noch kaum einzuschätzen sind, geht die berufspolitische Diskussion weiter. Nach dem Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP sollen der Rechtsrahmen für LegalTech-Unternehmen erweitert und für diese klare Qualitäts- und Transparenzanforderungen festgelegt werden. Die Aufsicht über Inkassounternehmen soll gebündelt werden. Und die Anwaltschaft soll gestärkt werden, indem das Verbot von Erfolgshonoraren modifiziert und das Fremdbesitzverbot geprüft wird. Es wird also unverändert spannend bleiben. Der Kammervorstand wird sich über seine Tagesarbeit hinaus der anstehenden berufspolitischen Fragen annehmen, sich mit diesen kritisch befassen und sich weiterhin im Interesse der Anwaltschaft in die berufspolitische Diskussion einbringen.
3.
Und dies bringt mich zum Schluss dieses Editorials: Es stehen Wahlen zum Kammervorstand an. Das Wahlausschreiben des Wahlausschusses in der Sonderausgabe unseres Kammerreports vom 21. Januar haben Sie erhalten, weitere Hinweise finden Sie in diesem Kammerreport. Wenn Sie an der Selbstverwaltung mitwirken wollen, dann stellen Sie sich zur Wahl und engagieren Sie sich in der Vorstandsarbeit – und vor allem: Nehmen Sie an der Wahl teil! Lassen Sie uns all jenen Paroli bieten, die der verfassten Anwaltschaft die demokratische Legitimation absprechen! Es ist Ihre Selbstverwaltung, deren inakzeptable Alternative die mit der anwaltlichen Unabhängigkeit gänzlich unvereinbare Staatsverwaltung wäre. Um die Teilnahme weiter zu vereinfachen, wird die Wahl erstmals als elektronische Wahl stattfinden. Auch hierfür hat die vergangene Kammerversammlung die notwendigen Satzungsänderungen beschlossen. Bereits die Einführung der von unserer Kammer stets geforderten und seit Mitte 2018 durch Änderung von § 64 BRAO möglichen Briefwahl, die wir bei der letzten Wahl im vorvergangenen Jahr erstmals durchführen konnten, hat die Wahlbeteiligung gegenüber der bis dahin nur in der Kammerversammlung möglichen Wahl um ein Vielfaches gesteigert. Allerdings: Es geht noch mehr. Wirken Sie mit an einer kritischen und starken anwaltlichen Selbstverwaltung in der Freien und Hansestadt Hamburg, die auch weiterhin in Berlin und Brüssel Einfluss nimmt!
Bleiben Sie gesund, und bleiben Sie zuversichtlich!
Ihr
Dr. Christian Lemke
Präsident