HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 5/2022 vom 1. Dezember 2022

OLG Hamburg: Anwaltliche Zeitplanung bei Videoübertragungen

Bei der Zeitplanung für einen Gerichtstermin ist zu berücksichtigen, dass nicht nur auf den Beginn der Verhandlung zu warten ist, sondern auch dass der Termin selbst eine nicht sicher absehbare Zeit in Anspruch nehmen wird. Verlässt die Rechtsanwältin / der Rechtsanwalt wegen zu knapper Zeitplanung den Terminsort vor Aufruf der Sache, ist das Ausbleiben in dem Termin nicht unverschuldet. Bei Videokonferenzen gelten insoweit keine anderen Maßstäbe.

In einem einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Landgericht wurde ein Termin zur mündlichen Verhandlung für 12:30 Uhr anberaumt. Der Anwalt des Antragstellers sollte per Videokonferenz zugeschaltet werden, die Anwältin des Antragsgegners wartete vor dem Sitzungssaal. Eine Richterin informierte die Prozessbevollmächtigten um 12:30 Uhr, dass sich der Aufruf der Sache um bis zu eine Stunde, vielleicht auch länger, verschieben könne. Um 12:55 Uhr teilte der Anwalt des Antragstellers dem Gericht und der Anwältin der Antragsgegnerin per E-Mail - dem Gericht auch mittels per beA übermittelten Schriftsatzes - mit, dass aufgrund der von ihm erhaltenen Mitteilung „hier von einer Terminsaufhebung auszugehen“ sei; da er „zudem ab 14 Uhr einen unverschiebbaren Termin“ habe, könne „der Termin zu einer späteren Terminsstunde heute nicht mehr wahrgenommen werden“. Er regte an, den Termin „ggf. auf nächste Woche Freitag zu legen“, weil er an diesem Tage vor der Kammer mehrere andere Termine wahrzunehmen habe und vor Ort sein werde. Das Landgericht rief den Termin zur mündlichen Verhandlung um 13:25 Uhr auf. Bei Aufruf der Sache erschien die Anwältin der Antragsgegnerin; der Anwalt des Antragstellers erschien weder persönlich noch per Videokonferenz. Die Anwältin der Antragsgegnerin beantragte sodann, die einstweilige Verfügung durch Erlass eines Versäumnisurteils aufzuheben. Das Landgericht verkündete daraufhin per Beschluss, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung gemäß § 337 ZPO vertagt werde. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin war erfolgreich.

Nach Auffassung des OLG durfte der Anwalt des Antragstellers nicht darauf vertrauen, dass der Termin aufgehoben und verlegt worden sei. Ein anberaumter Termin beginne nicht automatisch zu der in der Ladung angegebenen Uhrzeit, sondern erst mit dem Aufruf der Sache. Dass sich dieser Aufruf der Sache verzögern könne, läge auf der Hand, da sich die genaue Dauer von Terminen zur mündlichen Verhandlung bei deren Anberaumung nicht sicher voraussehen lässt. Aus diesem Grund müsse ein zu einer bestimmten Uhrzeit geladener Rechtsanwalt damit rechnen, einige Zeit auf den Beginn der Verhandlung warten zu müssen. Dabei sei eine Wartezeit auch von über einer Stunde grundsätzlich hinzunehmen.

Der Rechtsanwalt müsse bei seiner Zeitplanung ohnehin einkalkulieren, dass auch der Termin selbst eine gewisse, im voraus nicht sicher absehbare Zeit in Anspruch nehmen werde. Das gelte insbesondere dann, wenn in der mündlichen Verhandlung über den Erlass oder den Fortbestand einer einstweiligen Verfügung verhandelt wird; denn auch in einer solchen Verhandlung könnten schwierige Rechts- oder Sachverhaltsfragen ausführlich zu erörtern sein, und es bestünde zudem hier stets die Möglichkeit, dass aufgrund Vortrages in der mündlichen Verhandlung eine Beweisaufnahme stattzufinden habe, die sofort mittels präsenter Beweismittel in dem bereits anberaumten Termin erfolgen könne.

Wenn der zu einer mündlichen Verhandlung in einem Verfügungsverfahren geladene Rechtsanwalt seine Zeitplanung nicht darauf einrichtet, dass er aufgrund des Termins eine geraume Dauer zeitlich gebunden sein wird, sei seine Verhinderung, den anberaumten Termin wahrzunehmen, nicht unverschuldet.

OLG Hamburg, Beschluss vom 20.5.2022 – 7 W 57/22