III. Tätigkeit des Vorstands im Berichtsjahr
15. Berufsrecht
Nachdem es 2022 umfassende Änderungen der Bundesrechtsanwaltsordnung durch die „große BRAO-Reform“ zum 1.8.2022 gegeben hatte und es in 2023 nur wenige Gesetzesänderungen gab, ist in 2024 das „Gesetz zur Regelung hybrider und virtueller Versammlungen in der Bundesnotarordnung, der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung und dem Steuerberatungsgesetz sowie zur Änderung weiterer Vorschriften“ verabschiedet worden und größtenteils in Kraft getreten.
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Im Zentrum der Regelungen steht die Ermöglichung von virtuellen und hybriden Kammerversammlungen in den Rechtsanwaltskammern – eine Lehre aus der Corona-Pandemie, als die Quarantäne-Maßnahmen physische Treffen verboten und so die Fassung der jährlich erforderlichen Beschlüsse in den Kammerversammlungen gefährdet war. Die neuen Regelungen in der BRAO setzen nur einen Rahmen und erklären solche virtuellen und hybriden Kammerversammlungen für möglich – ob die Kammern davon Gebrauch machen wollen und die nähere Ausgestaltung obliegt den jeweiligen regionalen Rechtsanwaltskammern. In Hamburg steht das Thema auf der Tagesordnung der nächsten ordentlichen Kammerversammlung im April 2025: wir verweisen insoweit auf die Ankündigung der Kammerversammlung.
Die sonstigen Änderungen durch das Gesetz sind von eher untergeordneter Bedeutung, siehe zum Ganzen Dahns, njw-spezial 2024, 510.
Erwähnenswert sind aber:
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Die Schaffung von sogenannten „Mandatsgesellschaften“: diese Gesellschaften sind eine Sonderform der Berufsausübungsgesellschaften, die von mehreren zugelassenen Berufsausübungsgesellschaften, gegebenenfalls unter Beteiligung von individuellen Rechtsanwälten, gegründet werden alleine mit dem Zweck, ein einzelnes Mandat zu bearbeiten – sie sind also den „ARGEs“ aus dem Baurecht vergleichbar. Diese Mandatsgesellschaften sind insoweit privilegiert, als sie keiner Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer bedürfen, § 59f Abs.1 Satz 2 Nr. 2 BRAO. Die Gründung einer Mandatsgesellschaft ist aber der zuständigen Rechtsanwaltskammer anzuzeigen.
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Gemäß § 60 Abs.2 Nr. 3 BRAO werden auch die nicht-anwaltlichen Mitglieder von Geschäftsführungs- und Aufsichtsorganen von Berufsausübungsgesellschaften Mitglied der zuständigen Rechtsanwaltskammer. Dies führte in der Vergangenheit zu einer Vielzahl von Doppel-Mitgliedschaften – tatsächlich sind besonders häufig Steuerberater Mitglieder von Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgangen von anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften und sie wurden damit neben ihrer Mitgliedschaft in der Steuerberaterkammer auch Mitglied der Rechtsanwaltskammer. Um diese als nicht notwendig erachteten Doppel-Mitgliedschaften zu beseitigen, wurde § 60 Abs.2 Nr. 3 BRAO dahingehend geändert, dass nicht-anwaltliche Mitglieder von Geschäftsführungs- und Aufsichtsorganen einer anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft, die bereits Mitglied einer Steuerberaterkammer oder der Patentanwaltskammer sind, nicht Mitglied der Rechtsanwaltskammer werden.
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Ausländische Kolleginnen und Kollegen, die sich mit ihrer ausländischen Zulassung zur Berufsausübung in Deutschland niedergelassen haben, müssen zukünftig im bundesweiten amtlichen Anwaltsverzeichnis mit dem Herkunftsstaat ihrer Berufsbezeichnung und der Rechtsgrundlage der Aufnahme in die deutsche Rechtsanwaltskammer (nach § 2 EuRAG oder § 206 BRAO) ausgewiesen werden, § 31 Abs. 3 Nr. 5 BRAO. Damit soll es den Rechtssuchenden ermöglicht werden, die Reichweite der Rechtsberatungsbefugnis der ausländischen Kolleginnen und Kollegen zu beurteilen. Dies war bisher nicht möglich, weil zB die Berufsbezeichnung „solicitor“ in zahlreichen Ländern, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU, vergeben wird.
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Das Vorhaben, das Berufsrecht weiter zu ändern ist über das Entwurfsstadium nicht hinausgekommen: es gibt dazu „Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung aufsichtsrechtlicher Verfahren des Rechts der rechtsberatenden Berufe sowie zur Änderung weiterer Vorschriften“; für weitere Einzelheiten verweisen wir auf den Abschnitt „Rechtspolitik“.
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Die Berufsordnung (BORA) wurde in 2024 nur geringfügig geändert, namentlich wurden die Regeln bei der Beendigung der beruflichen Zusammenarbeit, § 32 BORA, geändert (siehe dazu den Abschnitt „Satzungsversammlung“ in diesem Geschäftsbericht).
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Ein herausragend wichtiges und mit Spannung erwartetes Urteil war die Entscheidung des EuGH zum Fremdbesitzverbot. Das Verfahren ging auf eine Vorlage des Bayerischen AGH zurück; siehe dazu den Abschnitt „Berufsrecht“ im Geschäftsbericht 2023. Mit Urt. v. 19.12.2024 – C-295/23 hat nunmehr der EuGH entschieden, dass das Verbot der Beteiligung reiner Finanzinvestoren an Anwaltskanzleien nicht gegen europäisches Recht verstößt. Die Regelungen des deutschen Berufsrechts, die eine solche Fremdbeteiligung verbieten, sind mithin mit europäischem Recht vereinbar. Die (je nach Sichtweise befürchtete, erwartete, erhoffte) weitere Öffnung des Rechtsberatungsmarktes für Nicht-Anwälte ist somit ausgeblieben. Wir verweisen für weitere Details des Urteils auf das Editorial unseres Kammerreports 1/2025.
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Mit diesem Urteil gewinnt die Diskussion um die Befugnisse der nicht-anwaltlichen Inkassodienstleister wieder an Fahrt. Denn wenn den nicht-anwaltlichen Investoren der Weg über die Beteiligung an Anwaltskanzleien verwehrt bleibt, dann ist zu erwarten, dass sie vermehrt versuchen werden, durch die Beteiligung an nicht-anwaltlichen Inkassodienstleistern und der Erweiterung von deren Beratungsangebot sich Anteile am Rechtsberatungsmarkt zu sichern. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer beobachtet den Markt daher weiterhin und greift auch nach wie vor Verfahren auf, um die Grenzen unzulässiger Rechtsberatung durch Nicht-Anwälte zu klären und auf die Einhaltung der Grenzen hinzuwirken.
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Auch zu einem weiteren EuGH-Verfahren hatten wir bereits im Abschnitt „Berufsrecht“ im Geschäftsbericht 2023 berichtet: Az. C-432/23. Auch hier hat sich der EuGH erfreulicherweise vor die Anwaltschaft gestellt – mit Urt. v. 26.9.2024 – C-432/23 hat der EuGH den Wert des Berufsgeheimnisschutzes betont und deutlich gemacht, dass dieser Schutz unabhängig von dem Rechtsgebiet, zu dem die Beratung erfolgt, gilt.
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Anders dann die Entscheidung des EGMR in Sachen „Jones Day“: siehe dazu den kurzen Bericht mit link auf die Entscheidung in den Nachrichten aus Brüssel 20/2024. Der EGMR sah – ebenso wie das BVerfG – in der Beschlagnahme in den Räumen einer Anwaltskanzlei von im Rahmen einer „Internal Investigation“ zusammengestellten Unterlagen keine unzulässige Beeinträchtigung der Rechte der beschwerdeführenden Rechtsanwälte oder der Berufsausübungsgesellschaft. Ausschlaggebend war, dass die Unterlagen nicht unmittelbar die Mandantin betrafen und dass die Staatsanwaltschaft die beschwerdeführenden Anwälte vor der Durchsuchung und Beschlagnahme mit Einwilligung der Mandantin befragt hatte.
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Die Diskussion über die Sammelanderkonten ist auch in 2024 weitergegangen und konnte noch nicht zum Abschluss gebracht werden. Wir verweisen insoweit für die Hintergründe auf den Abschnitt „Berufsrecht“ im Geschäftsbericht 2023 und für die aktuelle Entwicklung auf den Abschnitt „Rechtspolitik“ in diesem Geschäftsbericht.
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2024 brachte auch wieder Verschärfungen der Pflichten der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Bereich der Geldwäschebekämpfung: so besteht seit dem 1.1.2024 die Pflicht für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die „Verpflichtete“ im Sinne des GwG sind, sich im elektronischen Meldeportal goAMW Web zu registrieren – siehe dazu die Meldung der BRAK vom 1.1.2024.
Im Juni 2024 wurde dann das EU-Geldwäschepaket im EU-Amtsblatt veröffentlicht: siehe dazu die Nachrichten aus Brüssel 12/2024; die darin enthaltene Geldwäscheverordnung wird ab 2027 unmittelbar anwendbar sein. Das „Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz“ hingegen, das die Abläufe bei der Bekämpfung der Geldwäsche verbessern sollte, namentlich ein neues „Bundesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität“ schaffen sollte, ist nicht beschlossen worden (zum parlamentarischen Vorgang siehe die Datenbank des Bundestages) – es dürfte der Diskontinuität des Bundestags anheim fallen.
Die „Geldwäschegesetz-Meldepflichtverordnung Immobilien“ wurde um weitere meldepflichtige Tatbestände erweitert; die Verordnung ist am 17.2.2025 in Kraft getreten: siehe die Meldung der BRAK vom 18.2.2025 und den Abschnitt "Geldwäscheaufsicht".
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Ab dem 1.1.2025 gilt das Berufsbildungsvalidierungs- und -digitalisierungsgestz, das Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern die Möglichkeit geben soll, ihre beruflichen Fähigkeiten festzustellen und bescheinigt zu bekommen. Es richtet sich an Berufstätige ohne abgeschlossene Berufsausbildung, die über 25 Jahre alt sind und bereits länger in dem jeweiligen Beruf gearbeitet haben. Für die Validierung sind die Kammern zuständig, die auch zuständige Stellen für die Ausbildung in den jeweiligen Referenzberufen sind. Für Rechtsanwalts- bzw. Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte sind dies die Rechtsanwaltskammern.
Den Rahmen der Validierung hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung in der Verordnung über das Verfahren zur Feststellung und Bescheinigung individueller beruflicher Handlungsfähigkeit am Maßstab eines anerkannten Ausbildungsberufs (Berufsbildungsfeststellungsverfahrensverordnung – BBFVerfV). Diese wurde Anfang November im Bundesgesetzblatt verkündet und ist am 8.11.2024 in Kraft getreten. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer arbeitet bereits an einer Umsetzung und wird die entsprechenden Regelungen zeitnah bekannt machen.
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Die Diskussionen um den Einsatz von KI durch Anwälte waren eines der herausragenden Themen in 2024 (nachdem im November 2022 ChatGPT vorgestellt worden war). Bisher gibt es keine erkennbaren Überlegungen des Gesetzgebers, das Berufsrecht um Regelungen zum Einsatz von KI in der Anwaltschaft zu ergänzen. Anders hingegen die Satzungsversammlung, also das Anwaltsparlament, das sich intensiv mit der Frage befasst, ob die Berufsordnung um solche Regelungen ergänzt werden muss oder sollte. Schon die 7. Satzungsversammlung hatte sich damit befasst und die 8. Satzungsversammlung führt die Diskussionen fort. Bisher überwiegt die Ansicht, dass es keiner neuen, spezifisch KI adressierenden Berufsregelungen in der BORA bedarf. Die BRAK hat Anfang 2025 einen Leitfaden „Hinweise zum Einsatz von künstlicher Intelligenz“ herausgegeben, der der Anwaltschaft Orientierung geben soll.
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Breiten Raum nahm in 2024 auch die Diskussion über die Zukunft der Singularzulassung an den Zivilsenaten des BGH in Anspruch. Nachdem die BRAK-Hauptversammlung sich schließlich gegen eine Abschaffung der Singularzulassung entschieden hat, siehe dazu den BRAK-Newsletter vom 22.1.2025, ist es unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber hier von sich aus aktiv werden wird.
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Ab dem 1.4.2025 wird es einen „Commercial Court“ am Hanseatischen Oberlandesgericht und „Commercial Chambers“ am Landgericht geben; siehe dazu die Seiten des Commercial Court und die Mitteilung der Justizbehörde. Der Commercial Court besteht aus Zivilsenaten des Oberlandesgerichts, vor denen Wirtschaftszivilsachen zwischen Unternehmen ab einem Streitwert von 500.000 Euro bei entsprechender Verständigung der Parteien erstinstanzlich geführt werden. Die Senate können in deutscher oder in englischer Sprache verhandeln.
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Für weitergehende Informationen zum Berufsrecht verweisen wir auf die Literatur, namentlich in den Fachzeitschriften.
Einen zusammenfassenden Überblick gibt z.B. Deckenbrock in NJW 2024, 3696: „Die Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts“ und einen Überblick über wichtige Entscheidungen Dahns in njw-spezial 2025, 62.