HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 5/2025 vom 4. Dezember 2025

Anwalts Liebling?

Dr. Christian Lemke, Präsident von Dr. Christian Lemke, Präsident

Rechtsschutzversicherer fordern schon lange die gesetzliche Erlaubnis, ihre Versicherungsnehmer rechtlich beraten und außergerichtlich vertreten zu dürfen. Der Gesamtverband der Versicherer (GDV) und die Rechtsschutzversicherer verweisen immer wieder gern auf eine vom GDV im Jahr 2022 veranlasste dreitägige Umfrage des Dienstleisters YouGov. Danach erwarten über 70% aller Befragten die direkte Rechtsberatung und außergerichtliche Vertretung durch juristische Mitarbeiter von Rechtsschutzversicherern. 80% der Befragten würden sich auch etwa im Fall von rechtlichen Problemen im Zusammenhang mit einer Urlaubsreise vorrangig an ihren Rechtsschutzversicherer wenden – und nicht etwa an den Reiseveranstalter und erst recht nicht an eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt. Die Durchführung der Befragung wirft Fragen auf, nicht nur weil die Befragten mit ihrer Teilnahme Prämienpunkte zur Einlösung in Geschenkgutscheine sammeln konnten. Vielmehr sind sie offensichtlich nicht darauf hingewiesen wurden, dass sie von einem Rechtsschutzversicherer gerade keinen unabhängigen Rechtsrat erwarten dürfen. Denn das wirtschaftliche Interesse des Versicherers muss, wie der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 1961 zutreffend ausgeführt hat (BGH, II ZR 139/59 v. 20. Februar 1961, NJW 1961, 1113), auf die Vermeidung von Kosten der Rechtsverfolgung oder auch Rechtsverteidigung gerichtet sein, zu deren Übernahme der Versicherungsvertrag jedoch gerade verpflichtet. Eine die Möglichkeit eines solchen Interessenkonflikts in sich bergende Rechtsbesorgung kann – so der BGH noch ausgesprochen zurückhaltend – nicht als „sachgemäß“ bezeichnet werden. Der rechtlichen Beratung und Vertretung durch einen Rechtsschutzversicherer stünde dieser Interessenkonflikt vielmehr auf die Stirn geschrieben und wäre allein von seinen kommerziellen, auf die Kostenvermeidung gerichteten Interessen geprägt, nicht hingegen von dem Ziel, dem Versicherten bestmöglich zur Durchsetzung seiner Interessen zu verhelfen. Nicht umsonst gilt für Rechtsanwältinnen und -anwälte nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (so etwa BVerfG NJW 2003, 2520), dass das sie treffende Verbot, ihre Unabhängigkeit gefährdende Bindungen einzugehen oder gar widerstreitende Interessen zu vertreten, unverzichtbare Voraussetzung dafür ist, dass sie durch ihre berufliche Tätigkeit auch unter Berücksichtigung ihrer legitimen eigenen wirtschaftlichen Interessen als berufene und unabhängige Vertreter in allen Rechtsangelegenheit zu einer funktionierenden Rechtspflege beitragen können.

Eigentlich alles Binsenweisheiten. Aber offenbar nicht für alle selbstverständlich: eine der nach eigener Angabe größten LegalTech-Plattformen für die Rechtsschutz-Schadenabwicklung sieht offenbar kein Problem darin, ihren Partneranwälten folgenden ausdrücklichen Hinweis zu geben: „Wir versuchen jeden Fall außergerichtlich zu lösen. Ist unsere außergerichtliche Lösungsquote größer als 80%, sind unsere Versicherungspartner in der Regel zufrieden mit unserer Leistung und lassen den Fallhahn geöffnet. Je besser unsere Quote, desto mehr Fälle fließen, was uns allen zugutekommt.“ Rechtsberatung nach den finanziellen Zielvorgaben des Rechtsschutzversicherers und nicht dem Interesse der Mandanten. Noch Fragen?

Umso erstaunter war ich, als mich ein Schreiben der Hamburger Behörde für Justiz und Verbraucherschutz (BJV) erreichte, wonach sich die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder über eine Änderung des Rechtsdienstleistungsgesetzes zur Ausweitung der Möglichkeiten der außergerichtlichen Rechtsberatung und Vertretung durch Rechtsschutzversicherer austauschen werde. Die BJV bat hierzu um Mitteilung, wie dieser Vorschlag und insbesondere der naheliegende Einwand, dass sich für die Rechtsschutzversicherer ein Konflikt zwischen den eigenen wirtschaftlichen Interessen und den Interessen der Versicherungsnehmer ergibt, von der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer bewertet werde – und welche Maßnahmen von der Rechtsanwaltskammer zur Mitigation dieses Konflikts für wirksam erachtet würden. Einigermaßen entsetzt habe ich die BJV kontaktiert und um Mitteilung gebeten, wer sich diesen abenteuerlichen Vorstoß ausgedacht habe. Erfreulicherweise war dies nicht unsere Behörde, die uns – nicht minder erfreulich – mit ihrem Schreiben die Möglichkeit zur frühzeitigen Intervention gab. Der Vorstoß kam vielmehr aus Bayern. Hierüber informiert, haben sich sodann diverse Kammern, die Bundesrechtsanwaltskammer und auch der DAV nachdrücklich gegen das Ansinnen des Bayerischen Justizministers Eisenreich gewandt (der sich fragen lassen muss, was ihn eigentlich geritten hat). Mit Erfolg: Mit einem Abstimmungsergebnis von 14:1:1 gegen seinen Vorschlag fing er sich in der Justizministerkonferenz eine regelrechte „Klatsche“ ein.

Gleichwohl: Irgendwer versucht immer am Rechtsdienstleistungsgesetz zu sägen. Daher gilt es, aufmerksam zu bleiben und frühzeitig einzuschreiten, wenn wieder einmal nicht-anwaltliche Anbieter versuchen, den Rechtsdienstleistungsmarkt für sich zu erobern – zulasten der Rechtssuchenden, deren Interessen allein durch unsere anwaltlichen „Core Values“ gewahrt werden können: Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen.

Ihr

Dr. Christian Lemke
Präsident