BGH: Verjährungsbeginn der Anwaltshaftung erst ab Kenntnis der Pflichtwidrigkeit
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat klargestellt, dass die für den Beginn der Verjährungsfrist bei Anwaltshaftung erforderliche Kenntnis des Mandanten von den anspruchsbegründenden Umständen nicht allein aus der Kenntnis eines für ihn nachteiligen Berufungsurteils folgt. Entscheidend ist, ob der Mandant aufgrund der ihm bekannten Umstände – etwa der auch für juristische Laien erkennbaren Eindeutigkeit der Urteilsgründe oder des Verhaltens des Anwalts – eine Pflichtverletzung und den Schaden erkannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hat.
1.
Der beklagte Anwalt vertrat den Kläger in zwei Prozessen gegen die Firma S. Für den ersten Prozess im Jahr 2009 übernahm die Versicherung die Kosten. Für den zweiten Prozess im Jahr 2010 stellte der Anwalt seine Rechnung an die Versicherung, doch diese verweigerte die Zahlung. Der Kläger klagte daraufhin gegen die Versicherung, verlor aber per Urteil des OLG Frankfurt vom 2.8.2016, weil er für den zweiten Prozess eine eigene Deckungsanfrage hätte stellen müssen. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wurde durch den BGH mit Beschluss vom 18.4.2018 zurückgewiesen.
Daraufhin machte der Kläger den Anwalt verantwortlich und verlangte mit Schreiben vom 27.12.2018 Schadensersatz in Höhe von „schätzungsweise 100.000 €“. Ein Schlichtungsverfahren über einen Betrag in Höhe von 44.848,89 € scheiterte. Am 31.12. 2019 beantragte der Kläger einen Mahnbescheid über mehr als 120.573 €, bei dem die Hauptforderung mit „Schadensersatz aus Anwalt-Vertrag gem. diverse Mandate aus Anwaltsverträgen 119-120-138-154/10 151/09 u.a. vom 01.01.09 bis 31.12.2019“ bezeichnet war. Der Anwalt widersprach dem Mahnbescheid. Am 29.9.2021 reichte der Kläger seine auf Zahlung von 23.636,26 € gerichtete Klageschrift beim Landgericht ein. Das Landgericht wies die Klage wegen Verjährung ab, die Berufung hatte keinen Erfolg.
2.
Der BGH hob das Berufungsurteil auf. Er stellte klar, dass die Verjährungsfrist zwar grundsätzlich drei Jahre beträgt (§§ 195, 199 BGB), aber nicht schon mit Kenntnis eines negativen Berufungsurteils beginne. Ein Mandant dürfe auf die Fachkunde seines Anwalts vertrauen und muss nicht dessen Rechtsauffassung überprüfen. Die Kenntnis von einer Pflichtverletzung liege erst vor, wenn der Mandant aus den Umständen selbst den Schluss auf einen Schadensersatzanspruch zieht, etwa durch Ankündigung einer Klage oder Aufforderung zur Einschaltung der Haftpflichtversicherung. Im vorliegenden Fall deute erst das Schreiben des Klägers vom 27.12.2018 auf eine solche Kenntnis hin.
Zugleich bestätigte der BGH, dass der Mahnbescheid die Verjährung nicht hemmte, weil die Forderung nicht hinreichend individualisiert war (§ 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Bei mehreren selbständigen Ansprüchen müsse die Zusammensetzung des Gesamtbetrags erkennbar sein. Für die hinreichende Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs im Mahnantrag sei maßgeblich, dass der Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden kann, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungsbescheids sein kann und dem Schuldner die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will. Eine spätere Konkretisierung wirke nicht rückwirkend.
Das Berufungsgericht müsse nun klären, wann der Kläger tatsächlich Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Pflichtverletzung hatte und ob die geltend gemachte Pflichtverletzung sowie ein kausaler Schaden vorliegen.
BGH, Urteil vom 9.10.2025 – IX ZR 18/24