HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 3/2025 vom 5. Juni 2025

Angriffe auf die unabhängige Anwaltschaft

Dr. Christian Lemke, Präsident von Dr. Christian Lemke, Präsident

Es macht fassungslos, darf uns aber nicht sprachlos machen: Mit diversen „Executive Orders“ greift der amerikanische Präsident Demokratie und Rechtsstaat an. Er verhängt Sanktionen gegen Richter sowie Mitarbeiter und deren Angehörige des Internationalen Strafgerichtshofs, weist Bundesstaatsanwälte an, ein Korruptionsverfahren gegen den New Yorker Bürgermeister einzustellen und attackiert missliebige Anwaltskanzleien, u.a. indem er ihnen den Zugang zu Bundesbehörden verwehren lässt. Auch die American Bar Association wird drangsaliert, Bundesmittel für die Anwaltsausbildung werden ihr gestrichen, wogegen sie sich gerichtlich wehrt. All dies hat diverse nationale Anwaltsorganisationen zur Abgabe einer gemeinsamen Erklärung veranlasst, mit der sie nachdrücklich gegen entsprechende Maßnahmen protestieren und ihre Solidarität mit der amerikanischen Anwaltschaft bekunden. Hierzu zählen neben der Bundesrechtsanwaltskammer, die Law Society of England and Wales, Law Society of Northern Ireland, The Bar Council of Northern Ireland, Faculty of Advocates, der Deutsche Anwaltverein,  Law Council of Australia, Ordre des Avocats de Paris/Paris Bar, Unione delle Camere Penali Italiane/Union of the Italian Criminal Chambers, die LAWASIA, Commonwealth Lawyers Association, European Criminal Bar Association, Fédération des Barreaux des d’Europe, Institute for the Rule of Law of the Union Internationale des Avocats, International Bar Association’s Human Rights Institute, International Observatory for Lawyers in Danger, Lawyers for Lawyers sowie Lawyers’ Rights Watch Canada. Weitere Anwaltsorganisationen haben sich angeschlossen, so die Law Society of Scotland, Law Society of Ireland, Consejo General de la Abogacía Española, und Conseil national des barreaux (CNB). Sie alle stellen sich gegen die in den USA gegen „Legal Professionals” getroffenen Maßnahmen und fordern dazu auf, die Unabhängigkeit der Justiz zu achten. Das entsprechende Statement können Sie hier abrufen: https://www.brak.de/fileadmin/04_fuer_journalisten/presseerklaerungen/PE_03-2025-Joint-statement-on-US-actions-against-lawyers.pdf  Ein Ende der Maßnahmen der derzeitigen US-Administration ist nicht abzusehen – die internationale Gemeinschaft bleibt aufgerufen, Solidarität mit den Betroffenen in den USA zu zeigen.

Auch in der Türkei steht die Anwaltschaft unter massivem Druck. So hat ein türkisches Gericht mit einer – wenngleich noch nicht rechtskräftigen – Entscheidung kurzerhand den gesamten Vorstand der Istanbuler Anwaltskammer einschließlich des Präsidenten Prof. Dr. Kaboğlu abgesetzt; zugleich wurde ein Strafverfahren gegen alle Vorstandsmitglieder eingeleitet. Hintergrund ist eine Presseerklärung der Istanbuler Kammer, die eine Untersuchung der Tötung zweier kurdischer Journalisten – aus Sicht des zuständigen Staatsanwalts Terroristen – durch einen türkischen Drohnenangriff forderte und insoweit mutmaßte, es könne sich neben einem Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht auch um ein Kriegsverbrechen handeln. Auch gegen diese staatlichen Sanktionen wandten sich die Bundesrechtsanwaltskammer und andere Anwaltsorganisationen (https://www.brak.de/presse/presseerklaerungen/der-brak-2025/angriff-auf-tuerkische-anwaltschaft-terror-ja-gegen-die-anwaltschaft/). Das rein politisch motivierte Strafverfahren gegen die Kammervorstände läuft noch, den betroffenen Kolleginnen und Kollegen drohen langjährige Haftstrafen. Die Kammer Istanbul hat nun unmittelbar vor den anstehenden Gerichtsterminen eine Konferenz zur Verabschiedung der Konvention zum Schutz der Anwaltschaft des Europarats (hierzu: https://kammerreport.rak-hamburg.de/2025-01/inhalt/aktuelles/konvention-zum-schutz-der-anwaltschaft/) veranstaltet. Ich bin gern der Einladung gefolgt, an dieser Konferenz als Panelteilnehmer mitzuwirken und am Folgetag die Gerichtsverhandlung – die von den örtlichen Kolleginnen und Kollegen dankenswerterweise laufend per elektronischer Nachricht in die englische und französische Sprache verdolmetscht wurde – als Prozessbeobachter teilzunehmen. Weitere Anwaltsorganisationen entsandten ebenfalls Prozessbeobachter, darunter der Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE), die Kammer Paris, die französischen Verbände Conseil National des Barreaux (CNB) und Conférence des Bâtonniers, die European Lawyers Foundation und der Deutsche Anwaltverein, der durch unsere Hamburger Kollegin Sandra Scherbath vertreten war. Die Verhandlung erfolgte aus Gründen offensichtlicher Einschüchterung im Gefängnis von Silivri, einem Ort, der wie kaum ein anderer für die Inhaftierung politischer Gefangener steht. Eine weitere Verhandlung am Folgetag gegen den seit Januar inhaftierten Kammervorstand Firat Epözdemir in Istanbul führte immerhin zu seiner Entlassung aus der Haft. Abgeschlossen sind die Verfahren gleichwohl nicht, weitere Termine stehen im September an. Auch dort werden Präsenz zeigen und unsere Solidarität mit den betroffenen Kolleginnen und Kollegen zum Ausdruck bringen!

Dies sind leider nur zwei Beispiele für Angriffe gegen die unabhängige Anwaltschaft – weltweit gibt es zahlreiche Länder, in denen unsere Kolleginnen und Kollegen in ihrer Arbeit behindert werden, in denen ihre Arbeit eine Gefahr für die eigene Freiheit oder sogar das eigene Leben bedeutet. Alle diese Kolleginnen und Kollegen verdienen unsere Solidarität und Unterstützung, ebenso jene, die sich für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen einsetzen. Ich möchte Sie ermutigen, sich für eine freie und ungehinderte Berufsausübung weltweit zu engagieren.

Ihr

Dr. Christian Lemke
Präsident