Fremdbesitz – Machtwort des EuGH
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Die große Kammer des EuGH hat entschieden. Das Verbot der Beteiligung reiner Finanzinvestoren an Anwaltskanzleien („Fremdbesitzverbot“) verstößt nicht gegen europäisches Recht (Urt. v. 19.12.2024 – C-295/23).
Zur Erinnerung: Eine Münchner Rechtsanwaltsgesellschaft in der Rechtsform der Unternehmergesellschaft (UG) mit einem Stammkapital von € 100,00 veräußerte 51 ihrer 100 Geschäftsanteile an eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung österreichischen Rechts (SIVE Beratung und Beteiligung GmbH), die weder in Deutschland noch in Österreich zur Rechtsberatung zugelassen ist. Gleichzeitig wurde die Satzung zur vermeintlichen Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit u.a. dahingehend geändert, dass Einflussnahmen der Gesellschafter, der Gesellschafterversammlung oder anderer Geschäftsführer auf die anwaltlichen Geschäftsführer unzulässig sind.
Es kam, wie es offensichtlich beabsichtigt war: Die Rechtsanwaltskammer München widerrief die Zulassung der UG, wogegen diese vor dem Bayerischen Anwaltsgerichtshof klagte. Sie vertrat die Auffassung, die die Beteiligung ausschließenden §§ 59e Abs. 1 Satz 1 und 59h Abs. 3 Satz 1 BRAO a.F. verstießen gegen die europäische Kapitalverkehrs-, Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Dem Bayerischen AGH kamen Zweifel und er legte dem EuGH die Sache zur Vorabentscheidung vor.
Die Antwort des EuGH hätte kaum klarer ausfallen können:
Die Frage einer Verletzung der Dienstleistungsfreiheit (Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG als sekundärrechtliche Konkretisierung der Art. 56 ff. AEUV) verneinte der EuGH, schon weil die SIVE Beratung und Beteiligung GmbH selbst gar nicht beabsichtige, in Deutschland Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Eine am Maßstab des § 15 Abs. 3 der DienstleistungsRL zu messende unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) und auch der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) verneinte der EuGH ebenfalls. Keine der in Rede stehenden Anforderungen der BRAO, insbesondere die Beschränkung des Kreises der als Gesellschafter in Betracht kommenden Personen und das Erfordernis der aktiven Mitarbeit in der Gesellschaft (§ 59e Abs. 1 S. 1 und 2 BRAO a.F.), sei aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – des Sitzes diskriminierend. Die Erforderlichkeit dieser Beschränkungen ergebe sich aus deren Ziel, die anwaltliche Unabhängigkeit und Integrität, die Wahrung des Transparenzgebots und die Beachtung der anwaltlichen Verschwiegenheit sicherzustellen. Es sei offensichtlich, dass diese Zielsetzung mit dem Schutz der Empfänger von Rechtsdienstleistungen und mit der Wahrung der ordnungsgemäßen Rechtspflege zusammenhingen - beides zwingende Gründe des Allgemeinwohls. Insoweit bestehe die anwaltliche Vertretungsaufgabe, die im Interesse einer geordneten Rechtspflege auszuüben sei, vor allem darin, in völliger Unabhängigkeit und unter Beachtung des Gesetzes und der Berufsregeln die Interessen des Mandanten bestmöglich zu schützen und zu verteidigen. Den Rechtsanwälten werde die in einer demokratischen Gesellschaft grundlegende Aufgabe übertragen, für die Rechtssuchenden einzutreten. Diese Aufgabe impliziere die Möglichkeit eines jeden Rechtssuchenden, sich völlig frei an seinen Rechtsanwalt zu wenden, zu dessen Beruf an sich es seinem Wesen nach gehöre, all denen unabhängig Rechtsberatung zu erteilen, die sie benötigten. Zudem gehe mit ihr das Erfordernis der Loyalität des Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten einher. Die Anforderungen der BRAO seien verhältnismäßig.
Sie sollten dazu beitragen, die anwaltliche Unabhängigkeit zu wahren und dem Verbot von Interessenkonflikten Rechnung zu tragen, insbesondere indem ausgeschlossen werde, dass reine Finanzinvestoren die Entscheidungen und die Geschäfte einer Rechtsanwaltsgesellschaft beeinflussen. Die entsprechenden Regelungen seien geeignet, das Ziel der Wahrung der ordnungsgemäßen Rechtspflege und des Schutzes der anwaltlichen Integrität zu erreichen. Denn das Bestreben eines reinen Finanzinvestors, seine Investition ertragreich zu gestalten, könne sich auf die Organisation und die Tätigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft auswirken. So könne ein solcher Investor, sollte er den Ertrag seiner Investition für unzureichend halten, versucht sein, auf eine Kostensenkung oder das Bemühen um eine bestimmte Art von Mandanten hinzuwirken – gegebenenfalls unter der Androhung, dass er andernfalls seine Investition zurückziehen werde, was seine Einflussmöglichkeit, und sei sie auch nur mittelbar, hinreichend ausmache. Finanzinvestoren strebten nach Gewinn, während die anwaltliche Tätigkeit nicht an rein wirtschaftlichen Zwecken ausgerichtet sei. Die Vermeidung von Interessenkonflikten sei unerlässlich und gefährdet, wenn sich auf einen kurzfristigen Gewinn des reinen Finanzinvestors gerichtete Interessen gegenüber den Interessen der Mandanten durchsetzten.
Mangels Harmonisierung der für den Rechtsanwaltsberuf geltenden Berufsregeln stehe es grundsätzlich jedem EU-Mitgliedsstaat frei, die Ausübung dieses Berufs in seinem Hoheitsgebiet zu regeln. Die Mitgliedsstaaten könnten in Anbetracht des ihnen eingeräumten Beurteilungsspielraums legitimerweise davon ausgehen, dass der Rechtsanwalt nicht in der Lage sei, seinen Beruf unabhängig und unter Beachtung seiner Berufspflichten auszuüben, wenn er einer Gesellschaft angehöre, zu deren Gesellschaftern reine Finanzinvestoren zählten, zumal wenn diese die Mehrheit der Anteile innehätten. Ebenfalls unter Berücksichtigung dieses Beurteilungsspielraums sei auch die Einschätzung eines Mitgliedstaats legitim, dass sich bei der Beteiligung eines reinen Finanzinvestors am Kapital einer Rechtsanwaltsgesellschaft die Maßnahmen, die in nationalen Rechtsvorschriften oder in Satzungen von Rechtsanwaltsgesellschaften vorgesehen sind, um die berufliche Unabhängigkeit und Integrität der in einer Gesellschaft tätigen Rechtsanwälte zu wahren, in der Praxis als unzureichend erwiesen. Dies gerade in Anbetracht des Einflusses – sei er auch mittelbar –, den dieser Investor auf die Geschäftsführung und die Tätigkeiten der Gesellschaft durch im Wesentlichen oder sogar ausschließlich an der Gewinnerzielung ausgerichtete Entscheidungen über Investitionen oder Nicht- bzw. Desinvestitionen ausüben könnte.
Insbesondere Rechtsschutzversicherer, die schon lange darauf drängen, selbst Rechtsdienstleistungen erbringen zu dürfen, haben ein erhebliches Interesse daran, sich an Rechtsanwaltskanzleien zu beteiligen und diese nach ihren Vorstellungen zu formen. Ihnen und anderen potentiellen Investoren mag die Entscheidung des EuGH missfallen; ich finde sie in jeder Hinsicht richtig. Der nun von Kritikern erhobene Einwand, die Entscheidung habe sich noch mit der BRAO alter Fassung befasst und die nunmehr gegebene Sozietätsfähigkeit aller freien Berufe nicht berücksichtigt, verfängt nicht. Nichts an der Entscheidung des EuGH rechtfertigt eine andere Beurteilung, zumal er die neue Rechtslage – ausführlich zitiert in den Rn. 19 f. des Urteils – durchaus im Blick gehabt hat. Ebenso wenig verfängt der Einwand der Kritiker, der EuGH hätte sich mit der Frage der Kohärenz der deutschen berufsrechtlichen Regelungen nicht befasst. Diese Frage ist schließlich im Verfahren intensiv problematisiert worden. Der Generalanwalt hat die - von ihm gar verneinte - Frage der Kohärenz eingehend im Rahmen der Verhältnismäßigkeit geprüft. Und mit dieser hat sich der EuGH für seine Verhältnisse wahrlich eingehend befasst. Auch die Frage der Kohärenz hat der EuGH folglich allemal im Blick gehabt.
Die große Kammer des EuGH hat ein Machtwort gesprochen, und das ist gut so.
Ihr
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Dr. Christian Lemke
Präsident