HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 5/2024 vom 5. Dezember 2024

BGH: Zustellung an veraltete Beklagtenanschrift

Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, sind dem Zustellungsbetreiber nicht zuzurechnen. Zu solchen Verzögerungen gehören auch Versäumnisse, die bei der Ausführung der Zustellung von dem Zustellorgan verursacht worden sind. 

(Amtlicher Leitsatz)

Die Klägerin reichte am 29.11.2018 kurz vor Eintritt der Verjährung am Jahresende eine Klage auf restlichen Werklohn bei Gericht ein. In der Klageschrift wurde als Zustelladresse der Beklagten eine veraltete Adresse angegeben, obwohl die neue Adresse seit fast drei Jahren im Handelsregister eingetragen und auf der Website der Beklagten angegeben ist. Am 11.1.2019 ist der angeforderte Gerichtskostenvorschuss bei Gericht eingegangen. Am 23.1.2019 stellte der Zusteller unter der veralteten Adresse an einen Dritten zu, anstatt die Klage als unzustellbar an das Gericht zurückzusenden. Nachdem das Gericht die richtige Anschrift der Beklagten ermittelt hatte, erfolgte die Zustellung am 12.2.2019. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung, da die Klage erst nach dem Jahreswechsel zugestellt worden sei. Während das Landgericht der Klage noch teilweise stattgab, wies das Berufungsgericht die Klage wegen Verjährung vollständig ab.

Dem konnte sich der BGH in der Revision nicht anschließen: Die Klage könne nicht wegen Verjährung des Restwerklohnanspruchs abgewiesen werden. Denn die Zustellung der Klage an die Beklagte am 12.2.2019 sei „demnächst“ erfolgt und wirke gemäß § 167 ZPO verjährungshemmend auf den Zeitpunkt der Klageerhebung am 29.11.2018 zurück. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei die Zustellung einer Klage jedenfalls dann noch demnächst erfolgt, wenn die vom Kläger zu vertretende Verzögerung der Zustellung den Zeitraum von 14 Tagen nicht überschreite. Bei der Berechnung der Dauer der Verzögerung sei auf den Zeitraum abzustellen, um den sich die für die Zustellung der Klage ohnehin erforderliche Zeit infolge der Nachlässigkeit des Klägers verzögert habe. Nicht zu berücksichtigen sei der Zeitraum, der auf vermeidbare Verzögerungen im Geschäftsgang des Gerichts oder der Post zurückzuführen sei. Derartige Verzögerungen im Zustellungsverfahren seien der klagenden Partei auch dann nicht zuzurechnen, wenn der unrichtigen Sachbehandlung durch das Gericht eine von der klagenden Partei zu vertretende Verzögerung vorausgegangen sei.

Die Verzögerung, die dadurch eintrete, dass die Klageschrift in den Briefkasten eines Dritten eingelegt werde, anstatt sie an das Gericht zurückzusenden, stelle eine Verzögerung im Geschäftsgang des Gerichts dar. Zu solchen Verzögerungen gehörten auch Versäumnisse des Zustellorgans bei der Durchführung der Zustellung. Denn die von der Geschäftsstelle des Gerichts veranlasste Beauftragung des Zustellorgans mit der Durchführung der Zustellung (§ 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO) gehöre zum Geschäftsbetrieb des Gerichts, das von Amts wegen zuzustellen habe (§ 253 Abs. 1, § 271 Abs. 1, § 166 Abs. 2 ZPO). Bei ordnungsgemäßer Zustellung hätte das Zustellungsorgan die Klage unverzüglich mit einem Vermerk über den Grund der Unzustellbarkeit an das Gericht zurücksenden müssen.

BGH, Urteil vom 10.10.2024 – VII ZR 240/23