HANSEATISCHE RECHTSANWALTSKAMMER HAMBURG
Ausgabe 5/2024 vom 5. Dezember 2024

AG Hamburg: Weiterleitung eines ungeschwärzten Gutachtens an Sachverständige

Ein Strafverteidiger wurde wegen Geheimnisverrats (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB) angeklagt, weil er ein von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes psychologisches Gutachten ungeschwärzt an einen Gutachter seiner Wahl weitergegeben hatte. Das Gutachten war in einem Ermittlungsverfahren wegen eines Sexualdelikts zum Nachteil eines Kindes erstellt worden, in dem der Verteidiger den Beschuldigten vertrat. Da der Verteidiger das Gutachten anzweifelte, selbst aber nicht über vertiefte aussagepsychologische Kenntnisse verfügte, entschloss er sich nach Rücksprache mit seinem Mandanten, einen aussagepsychologischen Sachverständigen mit der Überprüfung des Gutachtens zu beauftragen. Er fertigte daraufhin eine Kopie des Gutachtens an und übersandte diese dem Aussagepsychologen mit der Bitte um eine kurze Stellungnahme, ob methodische Fehler zu erkennen seien. Die Kopie des Gutachtens enthielt keine Schwärzungen, einzelne Angaben wie der Name des Kindes, sein Geburtsdatum oder Details zum angeblichen Tatgeschehen waren erkennbar.

Nach Auffassung des Amtsgerichts Hamburg war das Verhalten des Verteidigers nicht strafbar. Die Weitergabe des vollständigen Gutachtens durch den Verteidiger an den externen Sachverständigen stelle kein tatbestandsmäßiges Offenbaren im Sinne des § 203 Abs. 1 StGB dar, weil der Sachverständige als berufsmäßig für den Angeklagten tätiger Gehilfe anzusehen sei. Ungeachtet der umstrittenen Frage, ob auch externe Personen als berufsmäßig tätige Gehilfen im Sinne der Vorschrift anzuerkennen sind, soll bereits nach der Intention des Gesetzgebers dem Berufsgeheimnisträger die Mitwirkung Dritter an seiner beruflichen Tätigkeit ermöglicht werden, ohne dass er sich einem strafrechtlichen Risiko aussetzt (BT-Drs. 18/11936 S. 18 f.).

Hieraus ergebe sich die gesetzgeberische Anordnung in § 43a Abs. 2 S. 6 Var. 2 BRAO, wonach den vom Rechtsanwalt beschäftigten Personen solche Personen gleichstehen, die im Rahmen einer (sonstigen) Hilfstätigkeit an der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts mitwirken. Es sei daher im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers und den übereinstimmenden Schutzzweck der Vorschriften des § 53a StPO und des § 203 StGB konsequent und geboten, den Begriff des berufsmäßigen Gehilfen im Sinne des § 203 Abs. 3 Satz 1 StGB mit dem Personenkreis der Berufshelfer im Sinne des § 53a StPO gleichzusetzen. Im Rahmen dieser Vorschrift sei anerkannt, dass Sachverständige, die von einem Verteidiger hinzugezogen werden, an der Verteidigung mitwirkende Gehilfen im Sinne des § 53a StPO sind. Sie sind daher auch unter den Begriff des berufsmäßig tätigen Gehilfen im Sinne des § 203 Abs. 3 Satz 1 StGB zu subsumieren, so dass eine tatbestandsmäßige Offenbarung an den Sachverständigen entsprechend ausscheidet.

Dieses Ergebnis sei auch im Lichte der Rechtsprechung, dass von einem Verteidiger beauftragte Sachverständige, auch wenn sie im jeweiligen Verfahren nicht selbst als Sachverständige auftreten, sogar an dessen Stelle die Ermittlungsakte entgegennehmen dürfen, da sie als Gehilfen der Verteidigung adäquat anzusehen seien (OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.09.1995 – 2 Ws 174/95, NJW 1996, 67 ff.). Es werde der Intention des Gesetzgebers gerecht, dass die einem Berufsgeheimnisträger anvertrauten oder ihm in beruflicher Eigenschaft sonst bekannt gewordenen Geheimnisse grundsätzlich in seiner Sphäre verbleiben sollen und diese nur im erforderlichen Ausmaß verlassen dürfen (BT-Drs. 18/11936, S. 28).

AG Hamburg, Urteil vom 22.2.2024 – 242 Ds 120/23 3320 Js 120/22 (nicht rechtskräftig)